University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Notre Dame, 3. April 1964

Die Polka Party

In der Polka Party der hiesigen slawischen Bevölkerung hat sich ein guter Teil polnischen und tschechischen Brauchtums erhalten. Dabei wird überwiegend noch in der ursprünglichen Muttersprache, hauptsächlich polnisch gesprochen.

Notre Dame, 4. April 1964

Jean Madeira

In der heutigen Matinee der South Bend Symphony gab Jean Madeira ein Konzert. Die weltberühmte Altistin hatte 1955 als Carmen an der Wiener Staatsoper Triumphe gefeiert, die in die Operngeschichte eingegangen sind. Als Zeichen ihrer Zuneigung für Wien sang sie zum Abschluss des Konzerts “Wien, Wien, nur du allein.”

[Jean (Browning) Madeira war indianisch-irischer Herkunft. Sie wurde 1924 in Centralia, Illinois, geboren, wuchs aber in St. Louis auf, wo sie ihre erste Musikausbildung erhielt; von 1948-71 gehörte sie der Metropolitan Opera an. Jean Madeira starb 1972.]

Notre Dame, 10. April 1964

Amish Country

Der Landstrich, welcher sich von hier rund 50 Meilen nach Osten erstreckt, gilt als Amish Country von Indiana. Inmitten des wohlgepflegten Farmlandes hat sich auch eine Reihe von ansehnlichen Dörfern und kleinen Städten entwickelt, unter denen Bremen, Nappanee, Goshen, Bristol, Middlebury und Shipshewana besonders hervorstechen. Die Amish sind eine Splittergruppe der Mennoniten, die im 18. Jahrhundert aus Süddeutschland und der Schweiz in die Neue Welt ausgewandert sind. Der Name leitet sich vom Gründer dieser Sekte, Jacob Amann aus Bern, ab. Auf der Suche nach fruchtbarem Land zogen die Amish im 19. Jahrhundert von Pennsylvanien ausgehend weiter nach Westen und siedelten sich in Ohio, Indiana und Illinois an. Die Amish sind Wiedertäufer, die streng nach der Bibel leben und sehr auf die Selbständigkeit ihrer Gemeinschaften bedacht sind. Im modernen Amerika sind die Amish eine auffallende Kuriosität. Sie halten so unbeugsam an ihrer althergebrachten einfachen Lebensweise fest, dass sie auf elektrischen Strom, auf Radio, Fernsehen und Telephon verzichten und auch die Benutzung von motorisierten Fahrzeugen ablehnen. Anstatt mit einem Auto fahren sie mit einem “buggy,” einem kleinen schwarzen Einspänner übers Land. Sie kleiden sich vorwiegend schwarz. Die Männer tragen Bärte und breitkrempige schwarze Hüte. Neben der Landwirtschaft hat sich auch ein reges Kleingewerbe, vornehmlich Gaststättenbetriebe und Möbelerzeugung, entwickelt. Die Amish sind als gute Farmer bekannt. Ihre naturnahen Produkte sind auf dem Lebensmittelmarkt sehr geschätzt.

Notre Dame, 15. April 1964

The Michigan Fruit Belt – Der Obstgürtel von Michigan

South Bend und Notre Dame liegen knapp an der Grenze zu Michigan. Das Gebiet nördlich von hier entlang der Ostküste des Lake Michigan überrascht durch seine Naturschönheit und grossen waldigen Dünen. Bedingt durch das ausgeglichene Seeklima ist hier ein weitausgedehntes Obstanbaugebiet entstanden. Es werden vor allem Äpfel, Birnen, Kirschen, Pfirsiche und zum Teil auch Wein angebaut. Einwanderer aus Holland, Deutschland und den ostmitteleuropäischen Ländern haben sich besonders um die Entwicklung dieses Gebietes verdient gemacht. Die Südwestecke von Michigan gleicht einem einzigen Obstgarten. Besonders in der jetzigen Jahreszeit ist diese Landschaft ein Blütenmeer.

Notre Dame, 22. April 1964

The Civil Rights Bill and the Wallace Campaign

[Als Governor von Alabama gab George C. Wallace seinen Entschluss bekannt, 1964 and den “primaries” (Vorwahlen) der Demokratischen Partei im Norden teilzunehmen. Er kandidierte schliesslich in den Vorwahlen von Wisconsin und Indiana. Die scharfe Polemik von Wallace gegen die “Civil Rights Bill” war eine direkte Herausforderung von Präsident Johnson.]

Die Bürgerrechtsfrage bildet sich zum entscheidenden Konflikt im diesjährigen Präsidentschafts-wahlkampf heraus. Der Stimmengewinn, den Governor George Wallace von Alabama bei der Primary von Wisconsin erzielen konnte (Wallace erhielt an die 35% der demokratischen Stimmen), erfüllt die Demokraten und den liberalen Flügel der Republikanischen Partei mit Sorge. Das Auftreten von Wallace nördlich der Mason-Dixon Linie hat darauf aufmerksam gemacht, dass auch in den Nordstaaten politische Kräfte am Werke sind, die sich gegen die “Civil Rights Bill” wenden.

Notre Dame, 24. April 1964

President Johnson Visits South Bend

Präsident Lyndon B. Johnson stattete heute South Bend einen überraschenden Besuch ab. Johnson besuchte die beruflichen Ausbildungsstätten, in denen die von den Studebaker Werken entlassenen Arbeiter umgeschult werden. Durch den Besuch des Präsidenten wurde die nationale Aufmerksamkeit auf dieses von der Regierung unterstützte Umschulungsprogramm gelenkt. Gleichzeitig hat L. B. Johnson damit seine Wahlkampagne eröffnet. Die geschickte innenpolitische Taktik Johnsons zielt darauf ab, die sogenannten “poverty pockets” (Armutsflecken) persönlich aufzusuchen, um sein “anti-poverty” Programm vor den Wählern zu explizieren. Der Besuch von Johnson verlief in bemerkenswerter Ruhe, sowohl Weisse wie Farbige brachten ihm uneingeschränkte Sympathie entgegen.

Notre Dame, 30. April 1964

The Indiana Primary

[Nach Wisconsin konzentrierte sich die Wallace Kampagne auf Indiana.]

Das Eingreifen von Wallace in die Indiana Primary wirkte alarmierend. Governor Matthew Welsh von Indiana, der anstelle von Präsident Johnson in der Vorwahl seines Staates kandidiert, führt einen wahren Kreuzzug gegen Wallace. Welsh warnt die Wähler davor, das Beispiel von Wisconsin zu wiederholen.

Die Welsh vs. Wallace Kontroverse im Mittelwesten rückt die Bürgerrechtsfrage in den Vordergrund des nationalen Interesses. Unter dem Vorwand “States' Rights,” die Rechte der Einzelstaaten zu schützen, tritt Wallace schamlos als Verfechter der Rassentrennung auf. Dies hat den geschlossenen Widerstand der Religionsgemeinschaften und der Universitäten hervorgerufen. Bei seiner gestrigen Wahlrede auf dem Notre Dame Campus sah sich Wallace einer lautstarken Demonstration gegenübergestellt. Er konnte nur noch mit Mühe und Not der aufgebrachten Menge entkommen.


<< Lanzinger >>