University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Abschnitt 3: 9. April 1967 – 27. Dezember 1968

Innsbruck, 9. April 1967

Das getrübte transatlantische Verhältnis

Die Blitztournee des amerikanischen Vizepräsidenten Hubert Humphrey durch die europäischen Hauptstädte hat in den letzten Tagen das schon seit einiger Zeit schwelende Unbehagen zwischen Europa und Amerika pointiert hervorgehoben. Die Europäer waren zunächst darüber mokiert, dass nur der Vizepräsident auf die Goodwill Tour entsandt wurde, und nicht der Präsident in eigener Person dazu aufgebrochen war, zumal doch Präsident Johnson die Mühe nicht gescheut hatte, zweimal in das entferntere Asien zu reisen. Die Europäer glaubten mit Recht, einen neuen Beweis dafür zu sehen, dass die Vereinigten Staaten den asiatischen Belangen mehr Aufmerksamkeit widmeten als den atlantischen. In der Tat ist in der Entwicklung der letzten Jahre kaum etwas Auffallenderes festzustellen als das geänderte Verhältnis zwischen Amerika und Europa. Während John F. Kennedy in Berlin stürmisch umjubelt wurde, blieb Humphrey eher ein kalter Empfang vorbehalten, der noch zusätzlich durch antiamerikanische Demonstrationen in vielen europäischen Städten getrübt wurde.

Was ist eigentlich geschehen, das das freundschaftliche Verhältnis zwischen Amerika und Europa trübt?

Francois Bundy hebt in einem Leitartikel in der Weltwoche vom 7. April folgende Punkte hervor:

1. Die meisten europäischen Länder fühlen sich vor den Kopf gestossen, da sie bei den Verhandlungen über den amerikanisch-russischen Atomwaffensperrvertrag (Non-Proliferation Treaty) nicht beratend herangezogen wurden.*

2. Die Priorität des Vietnamkrieges gegenüber den atlantischen Problemen.

3. Frankreichs Bruch mit der NATO sowie der durch den Gaullismus neu entfachte europäische Nationalismus; die Öffnung nach dem Osten unter der Parole ein Europa vom Atlantik bis zum Ural.

4. Die Schwierigkeiten eines Handelsabkommens zwischen den USA und der EWG.

Europa ist in den letzten Jahren eher ins Hintertreffen geraten. Wirtschaftlich könnte die EWG ein ebenbürtiger Partner der Vereinigten Staaten werden, politisch und militärisch jedoch bleibt Europa weit im Hintertreffen. Es fehlt die konstruktive Zusammenarbeit, vor allem auch auf wissenschaftlichem Gebiet. Europa läuft Gefahr, der Rückständigkeit zu verfallen.

*[Der Atomwaffensperrvertrag oder Vertrag über die Nichtverbreitung von Atomwaffen (Non-Proliferation Treaty), der in den bilateralen Verhandlungen zwischen den USA und der UdSSR zustandekam, wurde 1968 unterzeichnet und trat 1970 in Kraft. Während Grossbritannien den Vertrag unterzeichnete, trat Frankreich dem Abkommen nicht bei.]

Innsbruck, 25. April 1967

Am Grabe von Konrad Adenauer

[Konrad Adenauer (1876-1967) starb am 19. April. Er war der erste Kanzler der BRD von 1949-63. Adenauer hatte den Beitritt der BRD zur NATO 1955 befürwortet und sich massgebend für die EG (Europäische Gemeinschaft) und die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft) eingesetzt.]

Lyndon B. Johnson und Charles de Gaulle standen am Grabe von Konrad Adenauer, um die Einheit des Westens zu bekundigen, die Adenauer so entscheidend mitgeformt hatte. Aber gerade die Begegnung von Johnson und de Gaulle während der Trauerfeierlichkeiten in Köln hat gezeigt, wie sehr sich der Westen in zwei Lager gespalten hat. Zwischen den Vereinigten Staaten und den Gaullisten wurde ein Graben des Missverständnisses aufgerissen. Der Gaullismus hat in Europa Fuss gefasst und gewinnt mit der Öffnung nach dem Osten immer mehr an Boden.

Innsbruck, 28. April 1967

Die Karlsbader Beschlüsse von 1967

Die Konferenz der kommunistischen Parteien in Karlsbad, die gleichzeitig ein Gipfeltreffen der Parteichefs aus Ost und West war, hat wiederum verdeutlicht, in welchen Hoffnungen sich der Osten wiegt. Es wurde klar zum Ausdruck gebracht, dass mit Abschluss des NATO-Vertrages 1969 das atlantische Bündnis aufgelassen werden sollte, wofür als Unterpfand auch der Warschauer Pakt aufgelöst würde. Nach Auflösung der NATO erhofft sich der Osten offensichtlich ein leichtes Spiel, den westlichen Rest Europas durch friedliche Infiltration auf seine Seite zu bringen. Die Kommunisten würden dann ohne Zweifel das Übergewicht in Europa erlangen.


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