University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


[Ende Juli bis Mitte August 1979 fuhren meine Frau und ich mit dem Auto von South Bend in Indiana nach San Francisco, Kalifornien. Wir besuchten in Palo Alto unseren Sohn Franz, der gerade seine Berufstätigkeit in der Computerindustrie begonnen hatte. Man sollte einmal mit dem Auto quer über den Kontinent von New York nach Kalifornien fahren, um eine Vorstellung von den Entfernungen und der regionalen Vielfalt in den Vereinigten Staaten zu bekommen.]

30. Juli – 17. August 1979

Die Fahrt nach dem Westen

Die Fahrt ging zunächst auf der Interstate Highway 80 von Chicago bis zur Westgrenze von Nebraska. Wenn man nach 10 Jahren wieder durch Iowa und Nebraska fährt, so fällt einem die rasche, moderne Weiterentwicklung auf. Besonders auffallend ist die städtische Weiterentwicklung in Omaha, Nebraska. Während vor 10 Jahren die Besiedlung nur knapp über das Westufer des Missouri hinausreichte, sind nun weit in das Land hinein bis Lincoln, der Hauptstadt von Nebraska, moderne Industrieanlagen und Satellitenstädte entstanden. Das in Bellevue stationierte SAC (Strategic Air Command) hat wesentlich zu dieser Entwicklung beigetragen.

Ein Museum besonderer Art

Südlich von Omaha in Bellevue wurde das Strategic Air Command Museum eingerichtet. Es ist ein Freilichtmuseum besonderer Art, das in seiner Freizügigkeit nur in Amerika möglich ist. Hier werden neben den ausgedienten Maschinen der Air Force auch ältere Modelle von Interkontinentalraketen wie ATLAS, CBM und Minute Man ausgestellt. An Hand von graphischen Darstellungen wird die verheerende Vernichtungskraft dieser Waffen demonstriert, die gerade Gegenstand der SALT II-Verhandlungen waren. Diese Ausstellung stimmt einen nachdenklich: Während in den meisten anderen Ländern das Raketenzeitalter noch gar nicht begonnen hat, stehen hier bereits die ersten überholten Modelle im Museum.

Das Cattle Kingdom

Nach North Platte in Nebraska bogen wir von der 80 auf die Interstate 76 nach Denver, Colorado, ab. Während vor 10 Jahren die Strecke von Omaha nach Denver weitgehend menschenleer war, macht sie nun einen erschlossenen Eindruck. Zumindest kommt alle 50 Meilen eine Tankstelle mit einem “coffee shop.” So erscheint das Hochplateau mit dem riesigen Weideland nach North Platte nicht mehr so verlassen wie früher. Es ist mir erst jetzt das Ausmass des “Cattle Kingdom” (Königreich der Rinderzucht) bewusst geworden, das sich an die 1.500 Meilen von West-Texas über New Mexico, Colorado, Wyoming bis Montana hinauf erstreckt.

Im Feriengebiet von Colorado

Von Denver fuhren wir auf der Interstate 70 nach Westen. Die erste Etappe führte über den 10.000 feet (3.048 m) hohen Eisenhower Memorial Tunnel nach Vail, Colorado. Nach dem Tunnel, der auf der Continental Divide liegt, beginnt das herrliche Feriengebiet von Colorado, das sowohl im Sommer wie im Winter seine Gäste anzieht. Im Umkreis von 100 Meilen stehen die 4.000 Meter hohen Berge in einer Reihe von National Parks und National Forests, die zusammen eines der schönsten Feriengebiete in den USA bilden. Hier sind auch die beliebten Wintersportorte entstanden. Dazu gehören, um nur einige zu nennen, Keystone, Brackenridge, Vail und Aspen. Vail liegt unterhalb der Passhöhe in einer breiten Talmulde. Es wurde im Stil eines alpinen Dorfes gebaut, am besten mit einem kleinen Kitzbühel vergleichbar. In der Mitte des eleganten Ortes steht der Gasthof “Pepi Gramshammer,” wo wir uns nach einer langen Tagesfahrt heimisch zu Hause fühlen konnten.

Am nächsten Morgen kamen wir bei Glenwood Springs in das enge Tal des noch jungen Colorado River, der uns bis in die Wüste von Utah begleitete. Der Höhenunterschied und rasche Temperaturwechsel von 40 auf 117 Grad Fahrenheit im Schatten verursachten eine Reifenpanne. Zum Glück kam auf der menschenleeren Strasse ein junges Ehepaar vorbei, das sofort anhielt und uns in seinen Kombiwagen aufnahm, sodass wir uns abkühlen und erholen konnten. Der junge Mann half mir noch das Reserverad montieren. Nach Green River in Utah verliessen wir die Interstate 70 und fuhren auf einer malerischen Strasse durch den Price Canyon nach Norden. Am Abend erreichten wir über Provo Salt Lake City.

Die Fahrt durch die Wüste

Die 500 Meilen auf der Interstate 80 von Salt Lake City nach Reno, Nevada, sind eine Fahrt durch die Wüste. Man sollte dafür expeditionsmässig ausgerüstet sein. Man fährt zunächst an den weiten ausgetrockneten Flächen des Grossen Salzsees vorbei. Der betonharte Salzboden eignet sich besonders gut für die Autorennen der Bonneville Speedway. Das ist ein Übungsgelände, auf dem die höchst erreichbare Geschwindigkeit verschiedener Automodelle getestet wird. Die Interstate Highway geht stundenlang am Humboldt River entlang nach Westen. Der in der Hitze flimmernde Horizont wirkt wie eine Luftspiegelung. Nur selten zeigt sich am Fluss ein grüner Flecken mit einer Ranch. Wenn man die Wüste von Utah und Nevada durchquert, überkommt einen unwillkürlich ein Gefühl der Angst vor der Weite und Leere, die es zu bewältigen gilt. Bei Humboldt Sink versickert der Fluss schliesslich in einem Sumpf, wie überhaupt alle Wasserläufe in dieser Wüste verdunsten. Wenn man am Abend in Reno ankommt, atmet man auf, diese Strecke geschafft zu haben.

Virginia City, Lake Tahoe, Donner Pass

Von Reno aus unternahmen wir einen kurzen Abstecher in das nahegelegene Virginia City. Eine kurvenreiche Bergstrasse führt zu der legendären Silberstadt, die in einer der Sierra Nevada vorgelagerten Bergkette liegt. Hier wurde 1856 das Comstock Lode, die ertragreichste Silberader im Fernen Westen entdeckt. Zusätzliche Goldfunde machten Virginia City rasch zur “boom town,” die eine bunt zusammengewürfelte Bevölkerung anlockte. In ihrer Blütezeit von 1860-70 hatte die Stadt an die 20.000 Einwohner. Virginia City wurde zum Inbegriff der abenteuerlichen Goldgräberstadt im amerikanischen Westen. Es hat auch seine Bedeutung für die amerikanische Literatur. Samuel Clemens hatte hier von 1861-64 seine Tätigkeit als Zeitungsreporter begonnen, wobei er zum erstenmal sein Pseudonym Mark Twain benutzte. In der autobiographischen Erzählung Roughing It (1872) schildert er humorvoll seine Erlebnisse in Virginia City. Diese haben massgeblich den burlesken Stil von Mark Twain geprägt. Die Druckerpresse, mit der er arbeitete, und einige seiner frühen Artikel sind in Virginia City ausgestellt. Virginia City wurde vor dem Verfall gerettet, indem es rechtzeitig als Touristenattraktion aufgebaut wurde. Es diente auch als Kulisse für eine Reihe von Wildwestfilmen.

Von Virginia City fuhren wir über Carson City, die Hauptstadt von Nevada, zum Lake Tahoe. Die Grösse dieses tiefblauen Gebirgssees kam überraschend. [Lake Tahoe liegt auf einer Höhe von 6.225 feet (1.897 m) in der Sierra Nevada; das Ufer des Sees hat eine Länge von 72 Meilen (115 km). Der Name dürfte indianischen Urprungs sein und könnte “grosses Wasser” bedeuten.] Wir fuhren am Nordufer des Sees von Nevada über die kalifornische Grenze, die nur durch eine Tafel mit der Aufschrift “Welcome to California” gekennzeichnet war. Von dort führte der Weg über Squaw Valley zum Donner Pass. Die Abzweigung von der Interstate 80 hatte sich durch die Pracht der Landschaft von Lake Tahoe und Squaw Valley mehr als gelohnt.

Wenn man gerade mit dem Auto die Wüste von Utah und Nevada überquert hat, kann man es kaum fassen, wie Siedler vor dem Bau der Eisenbahn imstande waren, diese Strecke mit dem Ochsenwagen zu bewältigen. Es gab auch genügend Unfälle und Katastrophen. Am bekanntesten ist das Schicksal, das die Donner Party im Winter 1846-47 ereilte. Der Planwagenzug unter der Führung von George und Jacob Donner wurde auf der Passhöhe, die nun ihren Namen trägt, Ende Oktober 1846 von einem frühen Wintereinbruch in der Sierra überrascht, sodass er dort über den langen Winter eingeschlossen blieb. Die Hälfte der Donner Party, darunter Familien mit Frauen und Kindern, starb an Hunger, Kälte und Erschöpfung. Erst im Frühjahr konnten die Überlebenden gerettet werden. Auf dem Pass wurde eine Gedenkstätte an die Donner Party mit einem State Park eingerichtet. Ein eindrucksvolles Denkmal erinnert an die ersten Pioniere, die auf dem Landweg nach Kalifornien gekommen sind. Der Donner Pass liegt an der Wasser-scheide der Sierra Nevada. Von da rollt die Interstate 80 mit leichtem Gefälle über eine Strecke von 100 Meilen nach Sacramento hinunter. Nach weiteren 90 Meilen über die fruchtbare Ebene des San Joaquin Valley erreicht die Interstate 80 in Oakland die San Francisco Bay. [Die Interstate 80 ist mit einer Länge von 2.148 Meilen (3.436 km) die Hauptverbindungsstrecke von Chicago nach San Francisco.]

Palo Alto, 9. August 1979

Palo Alto liegt 50 Meilen südöstlich von San Francisco am unteren Ende der San Francisco Bay. Der spanische Name kommt von einer alten, hohen Sequoia, die ursprünglich den Indianern als Orientierungspunkt diente und dann von den Spaniern als Rastplatz benutzt wurde. Der grosse, rotholzerne Mammutbaum ist als Wahrzeichen des Ortes erhalten geblieben. Palo Alto gilt heute als eines der exklusivsten Villenviertel in Amerika. Die Stanford University hat dazu viel beige-tragen. Die Stadt verbindet die Ruhe eines Ferienortes mit der neuesten Elektronikindustrie und Weltraumtechnik. Am Rande der Stanford University auf der Page Mill Road ist eine saubere Industriezone entstanden, die wie eine Fortsetzung des Campus anmutet. Von hier gingen die umwälzenden Neuerungen in der Datenverarbeitung und Cumputer-Technik aus. Das Santa Clara Valley, das sich von San Jose nach Norden bis über Palo Alto hinaus erstreckt, hat den Spitznamen Silicon Valley erhalten, der nun in der ganzen Welt bekannt geworden ist. Hier ist auch die stärkste Ansammlung des “brain trust” anzutreffen, die mir je begegnet ist. Das erklärt auch die internationale Atmosphäre, die hier im weitesten Sinne vorherrscht. Die Lebensführung ist freisinning kultiviert, aufgeschlossen, aber mehr den Natur- als den Geisteswissenschaften zugetan. Die Gesellschaft ist sehr mobil: Wer ein Jahr lang an der gleichen Adresse wohnt, gilt bereits als sesshaft.

14. August 1979

Yellowstone National Park

Auf der Rückreise bogen wir in Nevada nach Norden ab und fuhren durch Idaho bis Twin Falls, wo wir nach einer langen Tagesfahrt übernachteten. Hier am Oberlauf des Snake River spürte man bereits die Umstellung in der Denkweise, die sich mehr nach Nordwesten, nach Portland, Oregon, und Seattle in Washington State richtete. Am nächsten Tag ging die Fahrt auf der Inter-state 20 auf das Hochplateau der Grand Tetons hinauf, deren schneebedeckte Spitzen (13.766 feet / 4.196 m) in der Ferne sichtbar blieben. Wir fuhren durch das Westtor in den Yellowstone Park direkt auf den Old Faithful zu. Der Yellowstone National Park bietet ein Naturschauspiel ohnegleichen. Ist schon der Old Faithful Geyser, der regelmässig in Abständen von ca. einer Stunde 150 feet (46 m) in die Höhe schiesst, eine Seltenheit, so kommen noch Hunderte von Geysern und Tausende von Thermalquellen dazu. Es brodelt, zischt und sprudelt überall. Das Gebiet des Yellowstone River mit einem Areal von 3.468 square miles (8.983 Quadratkilometer) wurde 1872 vom US-Kongress zum Nationalpark erklärt. Es war das erste Naturschutzgebiet in der Welt, das für die weitere Entwicklung des Naturschutzes als Vorbild diente. Der Yellowstone Park liegt an der Continental Divide in einer Höhe von 7.731 feet (2.356 m). Der Park ist auch für den Schutz der Tierwelt bekannt. Hirsche, Elche und Buffalos weiden ungestört neben der Autostrasse. Gelegentlich zeigt sich auch ein “grizzly bear.” Besonders eindrucksvoll ist der Wasserfall des Yellowstone River, der in den gelblich schimmernden Canyon stürzt. Wir fuhren noch an den terrassenförmigen Mammot Hot Springs vorbei, ehe wir den Park am Nordeingang in Richtung Bozeman, Montana, verliessen. Von da ging die Fahrt auf der Interstate 94 immer nach Osten, durch North Dakota und Minnesota, zurück an die Grossen Seen und heim nach Indiana. Wir haben auf dieser dreiwöchigen Rundreise durch den amerikanischen Westen 10.000 Meilen, bzw. 16.000 km zurückgelegt.


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