University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 5. Mai 1988

Der Termin ist abgelaufen

Gestern um 24 Uhr ist das “amnesty deadline,” der Termin für die Antragstellung um legalen Aufenthalt in den USA abgelaufen. Laut den neuen, vom Kongress vor einem Jahr bewilligten Immigrationsbestimmungen wurde illegalen Einwanderern, wenn sie einen Aufenthalt in den USA seit 1982 nachweisen konnten, Amnestie für den Aufenthalt im Lande und zum Antrag auf Staatsbürgerschaft gewährt. Von den vermuteten 6-8 Millionen “illegal aliens” haben sich immerhin über 1.3 Millionen für die Amnestie gemeldet. Die Ballungsgebiete waren Los Angeles, Houston und Miami. Bis zur letzten Minute standen Menschen vor den 107 US Immigration and Naturalization Service Bureaus Schlange. Die neuen Einwanderungs-bestimmungen sollen vor allem die anschwellenden illegalen Grenzübertretungen aus dem benachbarten Mexiko eindämmen und den im Verborgenen lebenden und der ständigen Angst ausgesetzten Millionen von illegalen Einwanderern legalen Status sowie eine menschenwürdige Existenz geben. Zum erstenmal werden auch Arbeitgeber zur Verantwortung gezogen, indem sie sich strafbar machen, wenn sie Fremdarbeiter ohne Aufenthalts- und Arbeitsbewilligung beschäftigen. Ganz wird das Problem der illegalen Einwanderung in die USA nicht zu lösen sein, aber durch diese Massnahme ist wenigstens eine Teillösung erreicht worden.

Sonntag, 8. Mai 1988

Wiedergewählt

Mit überzeugender Mehrheit wurde heute Francois Mitterand in der Stichwahl gegen Chirac als Staatspräsident von Frankreich auf weitere sieben Jahre wiedergewählt. Mitterand ist durch seine stoische Zurückhaltung und Überlegenheit in Krisensituationen zum stabilisierenden Faktor in Europa und in der Weltpolitik geworden.

South Bend, 11. Mai 1988

Irving Berlin 100 Jahre alt

Der volkstümlich beliebte Komponist Irving Berlin feierte heute zurückgezogen in seinem Heim in Manhattan seinen 100. Geburtstag. 1888 in Russland geboren, kam er 1893 mit seinen Eltern nach Amerika. Unter den 1.500 Liedern, die Berlin komponierte, gehören die zum Allgemeingut gewordenen Schlager “Alexander's Ragtime Band,” “White Christmas” (“I am Dreaming of a White Christmas” ist weltweit bekannt geworden), “Easter Parade,” und “There is No Business Like Show Business.” Das patriotische Lied, “God Bless America,” ist geradezu zur zweiten Landeshymne geworden. Berlin hat auch die Musik zu zahlreichen Broadway Musicals und Filmen geschrieben. Zu Ehren von Irving Berlin fand heute in der Carnegie Hall ein Gala-Abend statt.

Anmerkung

[Israel Baline wurde am 11. Mai 1888 in Temun, Westsibirien, geboren. Die Familie Baline immigrierte 1893 über Ellis Island nach Amerika und blieb in New York sesshaft. Israel Baline wuchs in ärmlichen Verhältnissen in der Lower East Side von Manhattan auf. Er betätigte sich zunächst als Unterhalter in der Bowery. Er hatte eine gute Stimme und das naturgegebene Talent, Lieder zu schreiben, welche der Zeit angepasst, die breite Bevölkerung mitreissen konnte. Meistens verfasste er auch selbst die Texte zu seinen Liedern. Um 1909 entstand der anglisierte Künstlername Irving Berlin. Der Durchbruch als Schlagerkomponist gelang ihm 1911 mit “Alexander's Ragtime Band.” Irving Berlin starb am 22. September 1989 in New York.]

South Bend, 25. Mai 1988

Zwischenlandung in Helsinki

Präsident und Mrs. Reagan sind auf dem Weg zum Gipfeltreffen in Moskau in Helsinki zwischengelandet, um sich dem Zeitunterschied anzupassen. In Helsinki erreichte sie die Nachricht, dass im Senat alle Widerstände aus dem Weg geräumt worden sind, welche die Ratifizierung des INF-Vertrages hätten verhindern können.

27. Mai 1988

INF-Vertrag ratifiziert

Mit 93:5 Stimmen hat heute der US-Senat den INF-Vertrag ratifiziert. Im gleichen Zuge bestätigte auch der Oberste Sowjet das Abkommen. Der Personalchef des Weissen Hauses Howard Baker machte sich gleich nach Helsinki auf den Weg, um Reagan das fertige Vertragswerk nachzubringen. Mit dem ratifizierten INF-Vertrag in der Tasche kann nun Präsident Reagan nach Moskau weiterfliegen.

29. Mai 1988

Pünktlich um 14 Uhr Ortszeit traf Air Force One mit Präsident und Mrs. Reagan an Bord in Moskau ein. Zum erstenmal seit 16 Jahren, seit Richard Nixon 1972, kommt wiederum ein amerikanischer Präsident zu einem Gipfeltreffen nach Moskau. Dass Ronald Reagan diesen Schritt unternommen hat, kennzeichnet die grundlegende Veränderung im Ost-West-Verhältnis. Der Empfang des amerikanischen Präsidentenehepaares im Kreml war herzlich, wenn auch dem Protokoll entsprechend formell steif. Es hatte den Anschein, als würden sich Ronald Reagan und sein Gastgeber Mikhail Gorbatschow bereits wie alte Bekannte treffen. Es ist immerhin das vierte Gipfeltreffen - Genf, Reykjavik, Washington, und nun Moskau - , zu dem sie zusammenkommen. Auf beiden Seiten wurde der Wille sichtbar, die gegenseitigen Beziehungen zu verbessern.

31. Mai 1988

Eine mutige Rede

Zum erstenmal sprach ein amerikanischer Präsident zur russischen akademischen Jugend. In der grossen Aula der Moskauer Universität, unter dem Wandgemälde der Russischen Revolution und vor der Büste von Lenin, sprach Ronald Reagan zu den Studenten, indirekt aber auch zur russischen Öffentlichkeit über das neue Einverständnis zwischen Amerika und der Sowjetunion. Er hob die Bedeutung von Freiheit, Demokratie und der freien Wirtschaft hervor, und wies auf die Innovationen des Computer-Zeitalters hin, das den Informationsaustausch und ein gegenseitiges Sich-Kennenlernen notwendig macht. Reagan sah die Hoffnung für die Zukunft darin, dass er keinen Unterschied mehr sehe, ob er zu amerikanischen, russischen oder anderen Studenten spricht. Am Schluss seiner Rede erntete er stehenden Beifall.


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