University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


NACHWORT

(Die Seitenzahlen von Passagen im vorausgehenden Text, die relevant für das besprochene Thema sind, werden in Klammern angegeben.)

Die Aufzeichnungen in diesem Tagebuch setzen 1961 ein, in dem Jahr, in welchem die Berliner Mauer errichtet wurde, und schliessen Ende 1989 mit dem Fall der Berliner Mauer ab. Ereignisse der 90er-Jahre werden aber noch in den folgenden Schlussbetrachtungen mit einbezogen. Im Vorwort wird darauf hingewiesen, dass die Aufmerksamkeit bei den Aufzeichnungen auf folgende Themen ausgerichtet war: 1. Die Bürgerrechtsbewegung in den USA; 2. Die europäische Integration und Fragen der europäischen Sicherheit; 3. Die Weltraumfahrt; und 4. Die sich bildende gemeisame Weltzivilisation. Bewusst wurde auch die eigene Immigrationser-fahrung festgehalten. Im Rückblick lassen sich nun eine Reihe zusammenfassender Schlussfolgerungen zu diesen Themen ziehen.

Nach dem Fall der Berliner Mauer wurde die deutsche Wiedervereinigung rasch in Angriff genommen. In einer Reihe von Verhandlungen wurden innen- wie aussenpolitisch die Bedingungen für die Vereinigung festgelegt. In den sogenannten “Zwei-plus-Vier-Gesprächen” (die beiden deutschen Staaten plus die USA, UdSSR, Grossbritannien und Frankreich) wurden die aussenpolitischen Probleme der deutschen Vereinigung behandelt. Entscheidend für die Wiedervereinigung war der Staatsvertrag über die Schaffung einer Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion, auf den sich die BRD und die DDR einigen konnten. Der Vertrag wurde am 18. Mai in Bonn unterzeichnet und trat am 1. Juli 1990 in Kraft. Damit wurde von der DDR die föderative, freie demokratische Staatsordnung nach dem Grundgesetz der BRD angenommen. Am 3. Oktober 1990 wurde die DDR aufgelöst und die deutsche Einheit vollzogen.

Die Bürgerrechtsbewegung in den USA

Anzunehmen, dass das Rassenproblem in Amerika völlig gelöst sei, hiesse zu viel erwarten. Das Elend in den Ghettos der Innenstädte besteht weiter, der Ungeist der Rassenvorurteile ist noch nicht ganz überwunden. Es hiesse aber andererseits die Augen verschliessen, würde man nicht die grossen Fortschritte anerkennen, die seit dem Bürgerrechtsgesetz von 1964 gemacht worden sind. Das Civil Rights Act vom 3. Juli 1964 (pp. 71-72) hat der afro-amerikanischen Minderheit, wie den Minderheiten im Allgemeinen, die gesetzliche Gleichstellung in der amerikanischen Gesellschaft garantiert. Praktiken der Rassentrennung, wie sie noch zu Beginn der 60er-Jahre üblich waren, gehören endgültig der Vergangenheit an. Der Rassenkonflikt hat sich seit Ende der 70er-Jahre entschieden entschärft. Inzwischen ist eine beachtliche, gut ausgebildete afroamerikanische Mittelschicht enstanden, die in allen Berufsschichten und Positionen anzutreffen ist. Die Rassenfrage ist in Amerika wohl noch nicht ganz, aber doch weitgehend gelöst worden. Wenn bereits 1964 festgestellt werden konnte, dass Amerika nur als integrierte Gesellschaft vorstellbar sei (p. 76), so trifft dies zu Beginn des 21. Jahrhunderts in einem noch viel grösserem Ausmass zu.

Die europäische Integration

Durch die Begegnung mit Amerika ist mir sehr früh bewusst geworden, dass Europa unweigerlich ins Hintertreffen geraten würde, wenn es nicht gelingen sollte, die europäische Integration zu verwirklichen (p. 18). Die europäische Integration war ein langsamer, schrittweiser Vorgang, der vielfach auch von Rückschlägen begleitet war.

Der erste Impuls zur europäischen Integration war von Robert Schuman ausgegangen, der als französischer Aussenminister 1951 die EGKS (Europäische Gemeinschaft für Kohle und Stahl) ins Leben rief. Der EGKS gehörten neben Frankreich die Bundesrepublik Deutschland, Italien und die drei Benelux Staaten - Belgien, Luxemburg und die Niederlande - an. Wesentlich für die weitere Entwicklung der Integration war die deutsch-französische Zusammenarbeit. Die Sechser-Gemeinschaft der EGKS wurde durch die Verträge von Rom 1958 in die EWG (Europäische Wirtschaftsgemeinschaft), bzw. EG (Europäische Gemeinschaft) umgewandelt. Im Juli 1959 schlossen sich Grossbritannien, Dänemark, Norwegen, Österreich, Portugal, Schweden und die Schweiz zur EFTA (European Free Trade Association) mit Sitz in Genf zusammen. Damit entstand in Europa neben der EWG eine eigene Freihandelszone. Der Schwerpunkt für die weitere Entwicklung der Integration lag aber bei der EG. Von 1973 bis 1986 hat sich die Zahl der Mitglieder der EG von 6 auf 12 erweitert. Von historischer Bedeutung war 1973 der Beitritt Grossbritanniens. Im gleichen Jahr traten auch Irland und Dänemark der Gemeinschaft bei. 1981 wurde Griechenland Mitglied der EG, und 1986 folgten Portugal und Spanien, womit sich der Stand auf 12 Länder erhöhte.

Am Anfang der 90er-Jahre wurden entscheidende Schritte zur Verwirklichung der europäischen Integration gesetzt. Durch den Vertrag von Maastricht 1991 wurde die EG in die EU (Europäische Union) umgebildet. Der Vertrag von Maastricht, der am 1. November 1993 in Kraft trat, sah den Abschluss der Wirtschaftsunion und der europäischen Einheitswährung vor. 1995 wurden Finnnland, Österreich und Schweden in die EU aufgenommen. Der Stand der Mitgliedsländer hatte sich damit auf 15 erhöht. Durch das Schengener Abkommen wurden ab März 1996 in den meisten EU-Staaten die Grenzkontrollen aufgehoben. Ausserodentlicher politischer Wille zur Zusammenarbeit wurde bei der Einführung der Einheitswährung gezeigt. Der Wunsch nach einer einheitlichen Währung (p. 287) ging mit der Einführung des Euro am 1. Jänner 2002 in Erfüllung.

Die europäische Integration steht noch vor grossen Aufgaben. Es geht gleichzeitig um die Festigung nach innen und die Erweiterung nach aussen. Durch die Festigung nach innen sollten das Europäische Parlament als gesetzgebende Körperschaft und der Europäische Gerichtshof gestärkt werden, sodass die übernational föderativen Kompetenzen der EU mehr zur Wirkung kommen. Eine Reihe assoziierter Staaten in Mittel- und Osteuropa wartet bereits auf die Aufnahme in die EU. Dazu gehören die drei Baltischen Staaten - Estland, Lettland und Littauen -, Polen, Tschechien, die Slowakei, Ungarn, Rumänien und Bulgarien. Wie gross und wirkungsvoll wird das neue, vereinte Europa einmal sein?

Fragen der europäischen Sicherheit – die Auflösung der Sowjetunion

Westeuropa war während den Jahrzehnte des Kalten Krieges einer doppelten Gefahr ausgesetzt: Einerseits bestand die Gefahr, vom kommunistischen Osten her überrannt, und andererseits die Möglichkeit, durch den Eurokommunismus von innen ausgehöhlt zu werden. Die Hilflosigkeit und Ohnmacht des freien Europas wurden beim Bau der Berliner Mauer 1961 und bei der Invasion der Tschechoslowakei im August 1968 (pp. 40, 119) schmerzhaft empfunden. Die Warschauen-Pakt-Staaten waren dem Westen im Bereich der konventionellen Waffen weit überlegen. Die Verteidigung des freien Europas hing im Rahmen der NATO zum überwiegenden Ausmass vom Atomschutz der Vereinigten Staaten ab.

Die soziale Revolte, wilden Demonstrationen und Streiks in Westeuropa in den 60er- und 70er-Jahren verunsicherten die Stabilität der demokratischen Regierungen. Besondere Sorge lösten die italienischen Parlamentswahlen vom Juni 1976 aus (pp. 267, 268), da der Kommunismus praktisch vor der Tür stand. Eine kommunistische Regierung in Italien hätte sich auf das Atlantische Verteidigungsbündnis sehr belastend auswirken können. Der Osten hatte es darauf abgesehen, die NATO aufzulösen und Westeuropa von Amerika abzukoppeln. Danach hätte Moskau leichtes Spiel gehabt, ganz Europa unter seine Einflusssphäre zu bringen. Das ist nicht gelungen. Die NATO hat sich als kollektives Verteidigungsbündnis als äusserst standhaft erwiesen.

Durch die auf Westeuropa gezielten russischen SS-20 Mittelstreckenraketen hätte die Sowjetunion Westeuropa unter Druck setzen können. Der Ministerrat der NATO hat vor allem auf Drängen von Margaret Thatcher Entschlusskraft bewiesen, als er am 12. Dezember 1979 sich für die atomare Nachrüstung entschied. Moskau war sich offensichtlich sicher, dass die westlichen Demokratien den inneren Widerstand gegen die Aufstellung der Pershing II-Raketen nicht durchstehen würden (pp. 359, 360). Es war ein gigantisches Ringen um die Seele Europas entbrannt (p. 361), das schliesslich zu Gunsten des Westens ausfiel.

Die Berliner Mauer war nicht nur die abschreckende Realität der geteilten Stadt, sondern auch das Symbol für das geteilte Deutschland und das geteilte Europa. Man konnte sich bis spät in den 80er-Jahren nicht vorstellen, wann und wie die Tragödie des geteilten Europas einmal enden würde. Man lebte in den Jahrzehnten des Kalten Krieges in der ständigen und nicht unbegrüdeten Angst, dass ein Atomkrieg ausbrechen könnte. Die grosse historische Wende kam Ende der 80er- und Anfang der 90er-Jahre, als mit der Befreiungsbewegung in Osteuropa der Eiserne Vorhang aufgerollt wurde, und der Kalte Krieg zu Ende ging.

Die aus Platten der Berliner Mauer von Edwina Sandys gestaltete Skulptur mit dem Titel “Breakthrough,” welche am Campus vom Westminster College in Fulton, Missouri, steht (p. 500), hat eine vielschichtige Bedeutung. Der Durchbruch vollzog sich auf mehreren Ebenen. Zeichen einer kommenden Änderung im Ostblock waren schon länger sichtbar gewesen. So hatte sich der Humankatalog in der Schlussakte der KSZE von 1975 (p. 279) als Zeitzünder erwiesen. Der Ruf nach mehr persönlicher Freiheit konnte auf die Dauer nicht ungehört bleiben. Lech Walesa und die unabhängige Gewerkschaft Solidarnosc gaben den Anstoss zur Überwindung des Kommunismus in Polen. Die historische erste Pastoralreise von Johannes Paul II. in sein Heimatland Polen im Juni 1979 wirkte sich auf den gesamten Osten aus (p. 315). Die Begegnung von Ronald Reagan und Mikhail Gorbatschow in Genf im November 1985 war jedoch die Sternstunde zur Beendigung des Kalten Krieges. Von Genf führte der Weg direkt, trotz der Missverständnisse von Reykjavik im Oktober 1986, zum Gipfeltreffen in Washington Anfang Dezember 1987, auf dem der INF-Vertrag abgeschlossen wurde (p. 451 ). Mit diesem Meilenstein in der atomaren Abrüstung wurde eine ganze Kategorie von Nuklearwaffen von beiden Supermächten eliminiert. Die Mittelstreckenraketen wurden auf beiden Seiten des Eisernen Vorhanges abgebaut, wodurch sich die Gefahr eines Atromkrieges wesentlich verringert hat.

Der Fall der Berliner Mauer war ein Dammbruch, der nicht mehr aufzuhalten war. Die Demokratiebewegung erfasste 1990-91 alle Länder im Ostblock vom Baltikum bis zum Schwarzen Meer und griff auch auf die Sowjetunion über. Gorbatschow hatte mit “Perestroika” und “Glasnost” die Umschichtung und Befreiungsbewegung ermutigt, konnte aber die Kräfte, die er damit entfesselt hatte, nicht mehr bändigen. In der 2. Hälfte 1991 überstürzten sich die Ereignisse, die zum Fall der Sowjetunion führten. Bereits am 13. Juni 1991 wunde Boris Jelzin in den ersten freien Wahlen mit grosser Mehrheit zum Präsidenten der Russischen Republik, bei weitem der grössten innerhalb der Sowjetunion, gewählt. Am 19. August 1991 führten die linientreuen Kommunisten einen Staatsstreich durch. Als Gorbatschow von den Putschisten auf der Krim unter Hausarrest gestellt wurde, hielt die Welt den Atem an. Es wurde befürchtet, dass die Sowjetunion in die dunkle Zeit des Stalinismus zurückfallen könnte. In jenem Augenblick sammelte Boris Jelzin den Widerstand gegen die Putschisten um sich, stellte sich vor dem Gebäude der Duma in Moskau den anrollenden Panzern entgegen und überredete die Truppen zum Abzug. Der Putsch brach so schnell zusammen, wie er insziniert wurde.

Nach dem Putsch blieb Gorbatschow im Kreml isoliert, während die Macht immer mehr an Boris Jelzin überging. Den Loslösungsbestrebungen von der Sowjetunion wurde freier Lauf gelassen. Nach dem Referendum vom 2. Dezember 1991, bei dem 92% der Wähler in der Ukraine sich für die Unabhängigkeit entschieden hatten, löste sich die Ukraine von der Sowjetunion. Auf der Konferenz vom 21. Dezember 1991 in Alma-Ata, der Hauptstadt von Kazachstan, wurde unter der Führung von Boris Jelzin die Sowjetunion nach 70 Jahren ihres Bestehens aufgelöst. Gorbatschow trat am 25. Dezember als Präsident eines Staates zurück, der faktisch nicht mehr existierte. Die Sowjetunion implodierte, brach unter der eigenen Last in sich zusammen. Die früheren Republiken der Sowjetunion vereinten sich mit Russland zu einer losen “Gemeinschaft unabhängiger Staaten.”

Mit dem Ende des Kommunismus in Osteuropa und in Russland entstand eine neue Weltlage, die auch die Sicherheitsfrage für Europa grundlegend verändert hat. Mit der Aufnahme von Polen, der Tschechischen Republik und Ungarn in die NATO 1999 wurden die drei wichtigsten Staaten von Ostmitteleuropa in das westliche Verteidigungssystem und Demokratieverständnis miteinbezogen. Die Gefahr, vom Osten her überrollt zu werden, besteht für Europa nicht mehr. Dagegen haben sich andere Sicherheitsfragen aufgedrängt. Das atlantische Verteidigungsbündnis bleibt nach wie vor die beste Garantie für die europäische Sicherheit. Doch sollte die EU mehr für ihren eigenen Schutz tun und mit einer Stimme effektiver in der Aussenpolitik in Erscheinung treten.

Die Weltraumfahrt

Die Entwicklung der bemannten und unbemannten Weltraumfahrt war das erregende, faszinierende Ereignis in der zweiten Häflte des 20. Jahrhunderts. Die bemannte Weltraumfahrt setzte mit Yuri Gagarin ein, der am 12. April 1961 als erster Mensch die Erde im Weltraum umkreiste. Ihm folgte am 20. Februar 1962 John Glenn, Jr. (p. 9). Das Ziel des Apollo-Programms der NASA in den 60er-Jahren war die Mondlandung. Erregend war der Augenblick, wie Apollo 8 am 24. Dezember 1968 auf die Rückseite des Mondes einschwenkte, dabei den Kontakt mit der Erde verlor, und dann wieder auf dem Bildschirm auftauchte (p. 128). Faszinierend war der Aufgang der Erde vom Mond aus gesehen. Der Höhepunkt war dann die Mondlandung von Apollo 11 am 20. Juli 1969 (pp. 146, 147). Als Neil Armstrong als erster Mensch seinen Fuss auf die Mondoberfläche setzte, identifizierte sich die ganze Menschheit mit ihm. Ein Jubel, ein Taumel der Begeisterung brach los. Man hatte das Gefühl, den Beginn eines neuen Zeitalters mitzuerleben. Die Mondlandung war das bedeutendste exploratorische Unternehmen des 20. Jahrhunderts, womit das Tor für die bemannte Weltraumfahrt in der Zukunft weit geöffnet wurde. Die Reihe der bemannten Mondflüge wurde mit Apollo 17 Anfang Dezember 1972 abgeschlossen.

Nach Abschluss des Apollo-Programms beschäftigte sich die NASA zunächst mit dem Bau der ersten amerikanischen Weltraumstation Skylab, die aber bereits Anfang Februar 1974 wieder aufgegeben wurde. Danach wandte sich die NASA der Entwicklung des Spaceshuttles oder der Raumfähre zu. Damit wurde ein Transportmittel für Weltraumflüge geschaffen, das wie ein Flugzeug auf einer Rollbahn landet und dann mehrmals wieder verwendet werden kann. Der erste Spaceshuttle Columbia machte am 14. April 1981 im Gleitflug auf der Edwards Air Force Base in der Mojave Desert in Südkalifornien eine Bilderbuchlandung (p. 353). Nach der Landung wurde die Columbia auf eine Boeing 747 montiert und nach Kap Canaveral in Florida zurückgeflogen, wo sie im Kennedy Space Center wieder für den nächsten Raumflug vorbereitet wurde. Die Raumfähre hat sich als Fahrzeug zur Zulieferung der Weltraumstation und anderen Aufgaben im Raum hervorragend bewährt. Spektakulär war die Reparaturarbeit vom Spaceshuttle Endeavour Anfang Dezember 1993 am Raumteleskop Hubble.

Die sowjetische Raumbehörde hatte 1986 die Raumstation Mir in Umfauf gesetzt. Die Mir war in den 15 Jahren ihres Bestehens ein beachtlicher Erfolg. Sie wurde im August 1999 ausser Dienst gestellt und ihre Umlaufbahn schliesslich im März 2001 abgesenkt. Sie verglühte in der Atmosphäre, während einzelne nicht verbrannte Teile im Südpazifik versanken. Die Mir wurde von der Internationalen Raumstation abgelöst. Amerika und Russland haben sowohl beim Betrieb der Mir wie beim Bau der neuen Raumstation eng zusammengearbeitet. Am 31. Oktober 2000 startete vom russischen Raumfahrtzentrum Baikonur in Kasachstan eine Sojus mit zwei Kosmonauten und einem Astronauten an Bord zum Flug zur Internationalen Raumstation, die seither ständig bewohnt alle 90 Minuten die Erde umkreist. Am weiteren Ausbau der International Space Station beteiligen sich 16 Nationen.

Die unbemannte Weltraumfahrt war nicht weniger faszinierend. Nachdem die Sowjetunion am 4. Oktober 1957 den ersten künstlichen Erdsatelliten Sputnik in Umlauf gesetzt hatte, begann zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion ein brisanter Wettlauf um die Erforschung des Raumes und die Beherrschung der Raumtechnologie. Während Russland Sonden auf der Venus landete, konzentrierte sich Amerika auf die Erforschung des Planeten Mars. Nach einjähriger Reise landete am 20. Juli 1976 die Raumsonde Viking 1 auf dem Mars. Die zurückgesandten Bilder zeigten zum erstenmal eine der Erde verblüffend ähnliche Landschaft (p. 272). Dieser Eindruck wurde noch verstärkt, als am 4. Juli 1997 die Raumsonde Pathfinder auf dem Mars weich aufsetzte. Bei dieser Marslandung konnte zum erstenmal auf einem anderen Planeten ein von der Erde aus gesteuerter Roboter in Bewegung gesetzt werden, der Gesteinsproben durchführte. Das erweiterte Panorama von der Marsoberfläche zeigte Sanddünen, Geröllhalden, grosse Felsblöcke und Hügelketten, wie sie auch auf der Erde anzutreffen sind. Immer wieder überraschend war die Präzision, mit der das Team an Wissenschaftlern im Jet Propulsion Laboratory in Pasadena, Kalifornien, diese Raumflüge plante und durchführte.

Zur gleichen Zeit fanden die langjährigen Reisen von Sonden zu den äusseren Planeten Jupiter, Saturn, Uranus und Neptun statt. Als sich nach zwölfjähriger Reise die Raumsonde Voyager 2 Ende August 1989 dem Planeten Neptun näherte, brach ein wahres Neptunfieber aus (p. 492). Es war ein erregender Augenblick, mitzuerleben, wie Voyager 2 den äusseren Rand des Sonnensystems erreichte und noch immer klare Aufnahmen zur Erde zurücksenden konnte. Im nahen Vorbeiflug am Neptun wurden neue Monde und Ringe entdeckt.

Die Weltraumfahrt hat insgesamt nicht nur das Wissen über das Sonnensystem sprunghaft vermehrt, sondern auch massgeblich das Bild unseres Planeten Erde verändert.

Eine gemeinsame Weltzivilisation

Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden aus innerem Bedürfnis heraus grosse Anstrengungen unternommen, um die Völkerverständigung und den Frieden zu fördern. Es war das Bedürfnis, über die eigenen Grenzen hinaus auszugreifen und Menschen anderer Länder und Kulturen kennen und verstehen zu lernen. Viel guter Wille ist für diese Aufgabe aufgewendet worden. Dazu gehören unter anderem die vielen Austauschprogramme von Schulen und Universitäten, die Partnerschaften von Städten sowie die internationalen Stipendien von Stiftungen. Besonders intensiv sind die Bemühungen zum gegenseitigen besseren Verständnis zwischen Amerika und Europa gewesen. Das Fulbright-Programm hat dazu einen wesentlichen Beitrag geleistet.

Wie mir bereits Anfang der 60er-Jahre bewusst geworden war, hat es sich bei der Entwicklung des globalen Zusammenschlusses nicht um eine vorübergehende Modeerscheinung, sondern um eine flutartige Bewegung gehandelt, welche die Lebensweise der Menschheit in der Zukunft verändern sollte (p. 45). Dies ist zu einem Ausmass eingetroffen, wie man es sich damals nicht hätte vorstellen können. Die Technik ist dieser Entwicklung vorangeeilt und hat in der Tat die moderne Lebensweise tiefgreifend verdändert. Flugverkehr, Fernsehen und Internet haben die Welt aufs engste zusammengeschlossen. Am wirkungsvollsten waren die umwälzenden Erneuerungen auf dem Gebiet der digitalen Informationstechnologie, die vom Silicon Valley ausgegangen sind (p.437). Darüberhinaus hat die Raumfahrt ein neues Gefühl der Zusammengehörigkeit bewirkt.

Nach westlichem, amerikanisch-europäischem Vorbild ist eine gemeinsame Weltzivilisation entstanden, für die Englisch als allgemeine Kommunikationssprache verwendet wird. Neben den Vorteilen dieser Entwicklung sind frühzeitig auch die Schattenseiten in Erscheinung getreten. Nach dem Flug von New York nach Paris Anfang Juni 1974 fiel mir auf, dass der neu gebaute Charles de Gaulle Flughafen in Paris dem International John F. Kennedy in New York erstaunlich ähnlich sah (p. 229). Der Flugverkehr ist nur ein Beispiel einer immer stärker umsichgreifenden Nivellierung oder Konformität, die ebenso auf Autobahnen, in der Unterhaltungsindustrie und im Supermarkt anzutreffen sind. In den Einkaufszentren werden weltweit immer mehr dieselben Konsumgüter und Markenartikel angeboten. Die Globalisierung in ihren vielseitigen Erscheinungen ist irreversibel, eine Entwicklung, die sich nicht mehr aufhalten lässt. Es bedarf daher noch grosser Anstrengungen, um die aufgetretenen Spannungen auszugleichen, und um eine gemeinsame Welt im humanen Geiste zu schaffen.

Die Immigrationserfahrung

Die Immigration ist eine elementare amerikanische Erfahrung, die vom Grossteil der Bevölkerung geteilt wird. Obwohl jede Einwanderung ein individuell subjektives Erlebnis ist, schliesst sie doch zum Teil auch die allgemeine Erfahrung ein. So hat meine eigene Immigrationserfahrung einzelne Phasen durchlaufen, die für die Einwanderung in die Vereinigten Staaten weitgehend charakteristisch sind. Zuerst hat sich beim Entschluss zu emigrieren eine trennende Wand zur unmittelbaren Umgebung in der Heimat aufgetan (p. 146). Die Distanzierung, bzw. Entfremdung hat sich im Laufe der Jahre vergrössert. Es ist nicht so, dass man die alte Heimat vergessen würde. Man verliert den Bezug zur Realität, wobei ein idealisiertes Bild der alten Heimat entsteht. Eine weitere Folge der Einwanderung ist der Verlust der Muttersprache. Der Schwund der Muttersprache vollzieht sich im Verlaufe mehrerer Jahre. Im unweigerlichen Sog des Englischen trat nach eigener Erfahrung bereits im ersten Jahr der Immigration eine Verlangsamung in der Ausdrucksfähigkeit im Deutschen ein (p. 111). Erfahrungsgemäss wird der Gebrauch der Muttersprache in der zweiten Generation fühlbar schwächer und geht in der dritten Generation zur Gänze verloren. Der entscheidende Schritt zur Umstellung auf die amerikanische Lebenswirklichkeit erfolgte mit der Annahme der US-Staatsbürgerschaft (p. 374). Die vollkommene Anpassung an die amerikanische Lebensweise nimmt dagegen Jahre, wenn nicht Jahrzehnte in Anspruch.

Der Menschenzustrom aus Europa ist historisch die grösste und kulturell prägende Einwanderung in Nordamerika gewesen. Nach einer Aufstellung zum Bicentennial 1976 sind von 1820-1974 46.7 Millionen Menschen in die USA eingewandert. Davon kamen 35.8 Millionen aus Europa (p. 261). Wie weit ist das Bewusstsein europäischer Herkunft in der amerikanischen Bevölkerung erhalten geblieben? Im US Census 1980 wurden zum erstenmal “ancestry,” die ethnische Zugehörigkeit der amerikanischen Bevölkerung aufgenommen, die auf mehrere Generationen zurückgehen kann. Aus der Gesamtbevölkerung von 226 Millionen haben sich 215 Millionen Amerikaner zur europäischen Herkunft bekannt. Dies schliesst “single and multiple ancestry groups,” die Zugehörigkeit zu einer oder mehreren der rund 50 europäischen Volksgruppen mit ein. Nach den grossen ethnischen Gruppen aufgeteilt, zu der sich jeweils mehr als eine Million Personen zugehörig fühlten, ergeben sich folgende Daten:

Englisch (49.5 M); Deutsch (49.2 M); Irisch (40.1 M); Französisch (12.8 M); Italienisch (12.1 M); Schottisch (10 M); Polnisch (8.2 M); Holländisch (6.3 M); Schwedisch (4.3 M); Norwegisch (3.4 M); Russisch (2.7 M); Tschechisch (1.8 M); Ungarisch (1.7 M); Walisisch (1.6 M); Dänisch (1.5 M); und Portugiesisch (1 M).

[Diese Daten wurden mir freundlicherweise vom Bureau of Census, US Department of Commerce, Washington, DC, 1986 zur Verfügung gestellt.]

Nach Angaben des Ellis Island Immigration Museum (p. 430) sind die engen verwandtschaftlichen Bindungen von Amerikanern an Familien in Europa jüngeren Datums. Rund 40% der amerikanischen Bevölkerung kann ihre Herkunft von Vorfahren herleiten, die über Ellis Island eingewandert sind. Nach neuerer Bestandsaufnahme hat Ellis Island von 1892 bis 1954 an die 23 Millionen Einwanderer aufgenommen, von denen die meisten aus Europa kamen.

Wie die oben angeführten Daten zeigen, ist in der amerikanischen Bevölkerung das Bewusstsein europäischer Herkunft erstaunlich weit verbreitet. Doch tiefer, als die Einwanderungsstatistik vermuten lässt, sind die kulturellen Bindungen zu Europa verankert. Amerikaner europäischer Herkunft nehmen es als selbstverständlich an, dass sie am europäischen kulturellen Erbe teilhaben. Es wird mit überraschender Natürlichkeit angenommen, dass es auch ihr Erbe sei. Beispiele dazu werden im Text angeführt (pp. 311, 450). Werke der bildenden Kunst aus Europa sowie literarische Manuskripte und wertvolle Sammlungen, die vorwiegend durch private Stiftungen erworben worden sind, werden in Amerika sorgfältig und oft mit rührender Hingabe bewahrt. In den vielen Musikakademien an den Colleges und Universitäten wird die klassische Musik mehr gepflegt, als man schlechthin annehmen würde. Den wesentlichen Beitrag zum europäischen Kunst- und Literaturverständnis haben in Amerika die Liberal Arts Colleges geleistet, deren Tradition bis in die Kolonialzeit zurückgeht.

Wie die Erzählungen und Romane von Henry James deutlich aufweisen, hat Europa oder die Alte Welt auf die amerikanische Psyche eine illusionserzeugende Wirkung. Viele der Amerikaner, die jedes Jahr nach Europa kommen, folgen ihrem Wunschbild der Alten Welt. Sie werden von der Sehnsucht geleitet, die grossen Kunstwerke in den Museen zu sehen (p. 145), sie suchen die pastorale Landschaftsidylle, wandern durch die malerischen alten Innenstädte sowie durch die Schlösser und Paläste. Die Jasonfigur von Thomas Wolfe verfolgt diese Reise durch die historischen Städte und Museen der Alten Welt - Bonn, Frankfurt, die Alte Pinakothek in München, das Kunsthistorische Museum in Wien - mit einer Leidenschaft, die allein aus touristischem Interesse nicht zu erklären wäre.

Wird diese starke Bindung an Europa anhalten? In den letzten Jahrzehnten hat sich ein bemerkenswerter Wandel in der amerikanischen Einwanderungsgeschichte vollzogen. Die überwiegend europäische Einwanderung wurde durch diejenige aus Asien und Lateinamerika abgelöst. Der US Census 2000 zeigt eine beachtliche demographische Verschiebung in der rassisch-ethnischen Zusammensetzung der amerikanischen Bevölkerung. Die Ergebnisse des Census 2000 wurden am 12. März 2001 der Öffentlichkeit bekannt gegeben. Nach der Aufstellung in der New York Times vom 13. März 2001 sind von der Gesamtbevölkerung von 281.4 M(illionen) 69.1% (194 M) weiss, 12.1% (34 M) schwarz, 12.5% (35 M) hispanisch und 3.6% (10 M) asiatisch. Während der Anteil der weissen Bevölkerung seit dem Census 1990 um 5% zurückgegangen ist, ist derjenige der hispanischen um 3% und derjenige der asiatischen um 0.8% gestiegen. Der Anteil der afro-amerikanischen Bevölkerung ist im Wesentlichen gleich geblieben. Überraschend war der Anstieg der hispanischen Bevölkerung von 22.4 Millionen 1990 auf 35 Millionen im Jahre 2000. Die amerikanische Bevölkerung wird bald die 300-Millionengrenze überschreiten. Demographisch wird vorausberechnet, dass sich in den kommenden Jahrzehnten die amerikanische Bevölkerung europäischer Herkunft und diejenige nicht-europäischer Herkunft immer mehr die Waage halten werden. Zu einem gewissen Ausmass wird sich durch diese demographische Verschiebung unweigerlich auch die Einstellung Europa gegenüber verändern. Doch wird diese Veränderung meines Erachtens nicht tiefgreifend sein. Die amerikanische Geschichte ist zu eng mit Europa verbunden, als dass eine grundlegende Ändenung möglich wäre.

Die Atlantische Gemeinschaft

Amerika und Europa sind im Zweiten Weltkrieg und in der darauffolgenden Auseinandersetzung mit dem Kommunismus zu einer Schicksalsgemeinschaft zusammengewachsen. Der Wiederaufbau des zerstörten Europas wurde durch den Marshallplan (p. 444) eingeleitet, in dessen Rahmen die Voraussetzungen für die Zusammenarbeit und dichte wirtschaftliche Verflechtung über den Atlantik geschaffen wurden. Die NATO hat als kollektive Verteidigungsallianz die Atlantische Gemeinschaft gefestigt (p. 483). Die gigantische Auseinandersetzung mit dem Kommunismus in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts ist zu Gunsten des Westens ausgegangen.

Die Atlantische Gemeinschaft ist eine neue historische Entwicklung. Amerika und Europa standen seit der Unabhängigkeitserklärung von 1776 politisch einander im Widerspruch gegenüber. Ehe eine atlantische Partnerschaft entstehen konnte, musste sich in Europa das Demokratieverständnis durchsetzen und der 150 Jahre dauernde Isolationismus der Vereinigten Staaten überwunden werden. Das Bild von Amerika in Europa, wie auch umgekehrt, war Jahrhunderte hindurch im hohen Grade ambivalent. Es beruhte mehr auf Mythen, Wunschvorstellungen und Vorurteilen als auf der Wirklichkeit. Erst die wissenschaftliche Beschäftigung in den letzten Jahrzehnten mit der amerikanischen Geschichte, Literatur, Geistes- und Sozialgeschichte hat ein konkretes Amerikabild geschaffen. Doch die Bemühungen, die tiefsitzenden Vorurteile abzubauen, sind noch lange nicht abgeschlossen.

Wie im Text mehrmals darauf hingewiesen wird, ist zwischen Amerika und Europa eine weitreichende Konvergenz, eine Angleichung in der Lebensweise, im Lebensstandard und Konsumgüterverbrauch sowie im Demokratieverständnis eingetreten. Meinungsverschiedenheiten und Spannungen zwischen Amerika und Europa wird es immer geben. Das soll aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass im Grunde das, was Amerika und Europa miteinander verbindet, stärker ist als das, was sie voneinander trennt. Dazu gehören die gemeinsame Geschichte, die grosse europäische Immigration in die Vereinigten Staaten und das gemeinsame kulturelle Erbe. Was aber Amerika und Europa am stärksten miteinander verbindet, sind die gemeinsamen Werte: Die Achtung vor der Würde des Menschen, der Schutz der freiheitlichen Grundrechte durch die Verfassung und die Aufrechterhaltung der parlamentarischen Demokratie.

Ist das Rätsel Amerika gelöst worden? Nicht ganz, denn dazu würde ein Leben nicht ausreichen. Doch in den Aufzeichnungen dieses Tagebuchs, das sich über vier Jahrzehnte erstreckt, werden viele Fragen über Amerika aufgeklärt, insbesondere auch solche, welche die transatlantlantischen Beziehungen betreffen. Der Verfasser hofft, dass dieser Band zum besseren Verständnis zwischen Amerika und Europa beitragen wird.


<< Lanzinger >>