Richard M. Nixon Präsidentschaftskandidat der Republikaner
Der Nationalkonvent der Republikanischen Partei tagt seit Montag, dem 5. August in Miami Beach. Man hat dafür mit Absicht Florida gewählt, um im Süden, der seit dem Bügerkrieg traditionell demokratisch wählt, Stimmen für die republikanischen Kandidaten zu gewinnen. Der Konvent begann in der üblichen Karnivalstimmung, doch hinter den Kulissen sind alte Routiniers am Werk, die das komplizierte Spiel der amerikanischen Innenpolitik meisterhaft verstehen. Es ist immer ein imponierendes Schauspiel zu verfolgen, wie das politische Kräftespiel eines Kontinents in Bewegung gesetzt wird. Bei der Eröffnung hielt der afro-amerikanische Senator Edward Brooke eine beachtenswerte Rede, in der er folgende, in die Zukunft weisende Feststellung über die Rassenbeziehungen in Amerika machte: America will be an integrated society of magnificent plurality (Amerika wird eine integrierte Gesellschaft von grossartiger Vielfalt sein). Der liberale Flügel der Partei hielt an Nelson Rockefeller fest, obwohl dieser aus den primaries ausgestiegen war. Der radikal konservative Flügel dagegen scharte sich um Barry Goldwater, der als Redner den grössten Applaus erhielt. Die Goldwater Kräfte waren bei diesem Parteikongress noch stark im Spiel. Als am Mittwochabend die Abstimmung begann, ging das grosse Rätselraten darum, ob es Richard Nixon gelingen wird, on the first ballot, beim ersten Wahldurchgang zu gewinnen. Nixon hatte aus den Vorwahlen den grössten Stimmenvorsprung auf sich vereinen können. Als schliesslich um 2 Uhr früh des 8. August die Wahl durch roll-call balloting durchgeführt wurde, erreichte Nixon im ersten Durchgang die erforderliche Anzahl von 667 Stimmen für die Nominierung. Erstaunen löste Nixons Wahl von Spiro Agnew als seinen running mate oder Mitkandidaten aus. Die Delegierten vom Nordosten und aus den Industriegebieten fühlten sich übergangen, während die Delegierten aus dem Süden mit dieser Wahl sehr zufrieden waren. Ohne Zweifel hat Nixon mit der Wahl des Gouverneurs von Maryland als seinen Mitkandidaten eine Konzession an den konservativen Süden gemacht, um den Wallace Kräften den Wind aus den Segeln zu nehmen. In seiner acceptance speech, der Rede zur Annahme der Nominierung liess Richard Nixon aufhorchen. Er versprach, wenn er zum Präsidenten gewählt wird, dass er sich für eine Neuorientierung der amerikanischen Aussenpolitik einsetzen werde, die sich wieder mehr den atlantischen Belangen zuwendet. Nach der Wahl im November werde die aussenpolitische Lage generell überprüft und dafür Sorge getragen werden, dass die Vereinigten Staaten nicht wieder ungewollt und leichtfertig in einen internationalen Konflikt hineingezogen werden.
[Richard Milhous Nixon (1913-94), Rechtsanwalt und Politiker aus Kalifornien, US Representative, 1947-51, US Senator, 1951-53, US Vice President unter der Eisenhower Regierung, 1953-61; US President, 1969-74. Nixon trat als Folge der Watergate Affäre im August 1974 vom Amt des Präsidenten zurück; er starb am 29. Mai 1994 in New York und wurde an der Seite seiner Frau Pat in der Richard M. Nixon Library in Yorba Linda, seinem Geburtsort am Südrand von Los Angeles beigesetzt. Spiro T. Agnew (1918- ), Governor of Maryland, 1967-69; US Vice President unter der Nixon Regierung, 1969-73. Edward W. Brooke (1919- ), Attorney General of Massachusetts, 1963-66. Brooke wurde als erster Afro-Amerikaner in den Senat gewählt; US Senator von Massachusetts, 1967-79.]
[Nach dem 8. August begaben meine Familie und ich uns auf die Reise nach Colorado. Da die Schwester meiner Frau aus Innsbruck zu Besuch gekommen war, konnten wir diese Fahrt nach dem Westen gemeinsam unternehmen. Wir fuhren auf der Interstate 80 durch Illinois, Iowa, Nebraska nach Denver, Colorado, insgesamt über eine Strecke von rund 1.200 Meilen.]
Denver, [15. August] 1968
Reiseeindrücke
Der Mississippi ist eine viel grössere Kulturscheide, als man schlechthin annehmen würde. Während die Besiedlung östlich davon an europäische Gebiete erinnert, ändert sich das Bild drastisch, sobald man den grossen Fluss bei Bettendorf überquert. Westlich des Mississippis ist die Besiedlung immer noch spärlich. Schon in Iowa beginnen die endlosen Mais- und Weizenfelder, die sich ohne Unterbrechung bis in die Mitte von Nebraska erstrecken. Omaha, Nebraska, das an der Grenze zu Iowa am Missouri liegt, ist die letzte grössere Stadt bis Denver. Im Joslyn Art Museum von Omaha konnten wir die seltenen Aquarelle von Karl Bodmer sehen, welche die unsprüngliche Lebensweise der Indianerstämme am Missouri darstellen.
[Der Schweizer Maler Karl Bodmer hatte 1833 Prinz Maximilian von Wied-Neuwied auf dessen anthropologischer Forschungsreise an den Oberen Missouri begleitet. Auf dieser Expedition entstanden die Aquarelle, die zu den seltenen echten Darstellungen der Indianerstämme im Missouri Gebiet gehören.]
Nach Omaha ging die Fahrt stundenlang durch Getreidefelder. Fallweise tauchten am Horizont die grossen Silos auf, die von ein paar Häusern umgeben waren. Die Monotonie dieser Landschaft hatte etwas Bedrückendes an sich. Nach Kearny gingen die Getreidefelder in das Weideland mit seinen verstreuten ranches über. North Platte liegt bei 1.200 Meter Höhe im Zentrum dieser Hochalm, wo über den Sommer die grossen Rinderherden zur Fleischerzeugung aufgezogen werden. Dort konnten wir die Buffalo Bill Ranch besichtigen und ein richtiges Rodeo sehen.
[Der lengendäre scout und Buffalojäger William F. Cody (1846-1917), besser als Buffalo Bill bekannt, lebte um 1880 in North Platte. Von da ausgehend stellte er anfangs der 80er-Jahre seine Wild West Show zusammen. Cody trat mit dieser Show im Freien, für die er eine Buffaloherde mitbrachte, Cowboys und Indianer engagierte, mit grossem Erfolg 30 Jahre lang auf. Er brachte seine Show auch nach Europa, wo sie zur Sensation wurde. Cody hat als Buffalo Bill wesentlich zur Wildwest- und Cowboyromantik sowohl in Amerika wie in Europa beigetragen.]
Zwischen North Platte und Denver dehnt sich auf 300 Meilen ein halbtrockenes Steppengebiet aus, welches auf dem Zug nach Westen nur als Durchzugsgebiet diente. In dem menschenleeren, unzugänglichen Terrain waren nur ein paar aufgelassene Hütten und einzelne trailer homes zu sehen. Erst wenn man auf 1.600 Meter Höhe das Plateau von Denver erreicht, schiessen die Rocky Mountains majestätisch in die Höhe. Trotz der Höhe von 3.000 bis 4.000 Meter sind die Gipfel nicht vereist. Die Rocky Mountains liegen hier viel südlicher als die Alpen, das Klima ist wärmer und trockener. Es kommt daher nur zu geringer Gletscherbildung.
In Denver wird man unmittelbar mit dem spanisch-mexikanischen Kulturkreis konfrontiert. Das Bedienungspersonal ist fast ausschliesslich mexikanisch. Auf der Südwestausfahrt der Stadt breitet sich ein Ghetto aus, das den Slums in den Innenstädten an der Ostküste um nichts nachsteht. Es ist unschwer vorauszusehen, dass die lateinamerikanische Minderheit, die den Südwesten von Amerika, von Kalifornien bis Texas, bewohnt, sich bald um Anerkennung bemühen und um ihre Rechte kümmern wird.
[Ehe wir nach Colorado Springs weiterfuhren, blieben wir noch zwei Tage in Golden, das nur zehn Meilen westlich von Denver liegt.]
Golden, Colorado, [19. August] 1968
Golden ist eine entzückende, touristisch gut erschlossene, kleine Western Town, die an die Goldgräberzeit erinnert. Etwas von der Goldfieberstimmung liegt hier noch in der Luft. Am Rande des Baches, der aus den Rocky Mountains fliesst, sitzen immer ein paar Hobby Prospektoren mit der Pfanne in der Hand und hoffen, dass sie noch ein paar Goldkörner auswaschen können.
Nachtrag
[Von 1860 bis 1910 sind Wellen des Gold- und Silberfiebers über Colorado hinweggezogen, die Zehntausende von Glückssuchern in die Rocky Mountains brachten. Der Reichtum der Ausbeute übertraf schliesslich den von Kalifornien. Diese turbulente wie romantische Zeit hat zahlreiche Spuren hinterlassen. Besonders westlich von Denver den Clear Creek entlang bis nach Central City und auf der Interstate 70 nach Georgetown ist eine Reihe von ghost towns, aufgelassene Silberminen mit ihren verfallenen Siedlungen zu finden, die nun zur Touristenattraktion geworden sind. Zum Teil finden sich aber auch heute noch unentwegte Abenteurer, die das Gold aus dem Sand des Clear Creeks waschen oder in den entlegensten Tälern nach Silber schürfen.]
Colorado Springs, 21. August 1968
Die tschechische Tragödie
In den heutigen Morgenstunden erreichte uns die Nachricht, dass in der vergangenen Nacht Truppen der Warschauer-Pakt-Staaten in die Tschechoslowakei einmarschiert sind, und dass sowjetische Panzer durch die Strassen von Prag rollen. Wir sassen wie benommen schweigend beim Frühstückstisch. Die Nachrichten, die nun laufend hereinkamen, hörten sich auf die Distanz unwirklich an, und dennoch war an ihrer Richtigkeit nicht zu zweifeln. Hier im amerikanischen Westen wurde das Ereignis kaum bemerkt, die Urlaubsstimmung des Kurortes wenig beeinträchtigt. Die öffentliche Meinung im Lande äusserte sich dahingehend, dass die amerikanische Regierung sich nicht in den kommunistischen Hausstreit einmischen sollte. Das bestehende amerikanisch-russische Einverständnis über die Teilung der Einflusssphären wurde durch dieses Vorgehen nicht aus dem Gleichgewicht gebracht. Die Besetzung eines Staates an der Grenzlinie des Eisernen Vorhanges schien im Toleranzlimit der beiden Grossmächte zu liegen. Die Kleinstaaten an dieser Grenze sollten daher besonders auf der Hut sein und mehr für ihren Selbstschutz tun.
Die Trennungslinie zwischen Ost und West, die quer durch Mitteleuropa läuft, ist wieder schreckenerregend in Erinnerung gerufen worden. Die Präzision und Geschwindigkeit, mit der die Truppen des Warschauer Paktes in der Nacht vom 20. auf den 21. August die Tschechoslowakei überrannt haben, jagt einem den kalten Schauer über den Rücken. Im Augenblick wäre niemand imstande, die vordringenden Panzereinheiten aufzuhalten. Die Hilflosigkeit von Europa wird wiederum auf tragische Weise ins Bewusstsein gerufen.
Besonders schwerwiegend drängt sich die Frage auf, wer im Ernstfall die österreichische Neutralität schützen würde, wenn es den Warschauer-Pakt-Staaten aus taktischen Überlegungen einfallen sollte, in Österreich ein- oder durchzumarschieren.
[Von Colorado Springs fuhren wir direkt nach South Bend zurück, da der Semester- und Schulanfang vor der Tür standen.]
South Bend, 29. August 1968
Das Chaos in Chicago
Die Delegierten der Demokratischen Partei haben sich Ende August zu ihrem Nationalkongress in Chicago eingefunden, um das Parteiprogramm für den kommenden Wahlkampf festzulegen und ihren Kandidaten für die Präsidentschaft zu nominieren. Vom ersten Tag an stand der Kongress unter einem unglücklichen Stern. Der Kongress bot ein Bild der Verwirrung und inneren Spaltung, begleitet von wilden Demonstrationen, die in einem beispiellosen Chaos endeten. Schon zu Beginn hatte die Delegation von Georgia den Kongress verlassen, da sie ihre Stimmen nicht mit der zweiten, rassisch gemischten Delegation von Georgia teilen wollte. Die Partei hatte den Vertretern aus den Südstaaten nahegelegt, rassisch gemischte Delegationen zu entsenden. Für Georgia wurden neben der offiziellen weissen Delegation auch eine gemischte Delegation zugelassen, was zum Auszug der ersteren führte. Durch diese Kontroverse wurde der Süden noch mehr in das Lager von George Wallace getrieben, der als Kandidat der dritten Partei, der American Independent Party auftrat. Neben dem rassisch bedingten Konflikt war der Kongress noch ärger über den Krieg in Vietnam gespalten. McCarthy und seine Anhänger vertraten die Friedenspolitik und waren zu keinem Kompromiss bereit. Sie konnten ein gutes Drittel der Delegiertenstimmen auf sich vereinigen, verloren aber die Wahl an Vice President Hubert Humphrey, dessen Nominierung so gut wie sicher schon vor dem Kongress feststand.
Während in der Kongresshalle die politischen Gegensätze aufeinander prallten, wurde vor der Halle zwischen Polizei und Demonstranten eine Strassenschlacht ausgetragen. Radikale Gruppen der counterculture und Friedensbewegung hatten bereits Wochen vor dem Kongress in Chicago Pläne geschmiedet, wie sie die Tagung sprengen könnten. Die Chicagoer Polizei, die davon erfahren hatte, war gerüstet. Sie ging mit ungewöhnlicher Härte gegen die Demonstranten vor und nahm Dutzende von ihnen fest. Vor dem Conrad Hilton Hotel in der South Michigan Avenue, wo sich das Hauptquartier sowohl der Humphrey wie der McCarthy Campaign befand, kam es zu tumultartigen Szenen. Die Demonstranten, die sich auf dem gegenüberliegenden Grant Park kampierend eingerichtet hatten, wurden von der Polizei und Nationalgarde vor Einbruch der Nacht aus dem Park delogiert. Auf Grund dieser Tumulte wurde überlegt, den Kongress abzubrechen. Er wurde aber doch zu Ende geführt. Hubert Humphrey wurde als Präsidentschaftskandidat nomimiert und die Wahl von Senator Edmund Muskie als running mate, Mitkandidaten heute bestätigt. In den letzten Tagen war es in Chicago zu den schwersten Tumulten und Auseinandersetzungen gekommen, die es je bei einem Parteikongress in Amerika gegeben hat.
[Hubert H. Humphrey, Jr. (1911-1978), US Senator von Minnesota 1949-65, US Vice President 1965-69; Präsidentschaftskandidat der Demokratischen Partei 1968.]
[Edmund S. Muskie (1914- ), Rechtsanwalt und demokratischer Politiker aus Maine; Governor von Maine 1955-59; US Senator von Maine 1959-80; US Secretary of State im letzten Jahr der Carter Regierung 1980-81. Als Politiker wandte sich Muskie mehr der Innenpolitik und dem Umweltschutz zu.]