Jacques Maritain über Amerika
Der französische Philosoph Jacques Maritain hat mit dem auf Englisch abgefassten Buch Reflections on America (New York: Charles Scribner's, 1958) ein ergreifendes Bekenntnis zu Amerika abgelegt. Maritain wurde 1882 in Paris geboren. Er studierte an der Sorbonne und in Heidelberg Naturwissenschaften und Philosophie. Maritain, der aus einer protestantischen Familie kam, konvertierte 1906 zum Katholizismus. Von Thomas von Aquin ausgehend, wurde er zum namhaften Vertreter eines neuen christlichen Humanismus. Maritain lehrte von 1914-40 am Institut Catholique in Paris, nahm aber bereits seit Beginn der Dreissigerjahre Kontakte mit Universitäten in Nordamerika auf. So hielt er ab 1933 Vorträge am Pontifical Institute of Medieval Studies in Toronto, an der University of Chicago und an der University of Notre Dame. 1940 ging er mit seiner Frau Raissa nach New York ins Exil. Von 1945-48 war er Botschafter Frankreichs am Vatikan. 1948 nahm er eine Professur an der Princeton University an. Nach seiner Emeritierung 1953 blieb er in Princeton, New Jersey. Von dort fuhr er mehrmals in den Mittelwesten, um Gastvorlesungen an der University of Chicago und hier in Notre Dame zu halten. Auf Anraten seiner Frau und aus Dankbarkeit für die freundliche Aufnahme, die ihm hier im Lande zuteil worden war, schrieb er die Betrachtungen über Amerika. Maritain nennt in den Reflections seine erste Begegnung mit Amerika einen coup de foudre oder love at first sight. Im historischen Rückblick stellt er fest: [The Americans] were the most humane and least materialist among modern peoples which had reached the industrial age. Dann setzt er sich mit dem weitverbreiteten europäischen Vorurteil auseinander, dass Amerika ausschliesslich materialistisch sei. Few things, to my mind, bekennt er, are as sickening as the stock remarks with which so many persons in Europe, who are themselves far from despising the earthly goods of this world, reproach this country with its so-called materialism. The power of this fable is so great that sometimes you yourselves [the Americans] are taken in by it. Er spricht ferner seine Bewunderung über die Anstrengung aus, welche in Amerika im Laufe von zwei Jahrhunderten unternommen wurde, um eine neue Welt zu schaffen: I have come to realize more and more the immensity of the human effort which was brought into play to create a new world within the course of two centuries. Zum Schluss seiner Betrachtungen kommt er zur folgenden Ansicht: What the world expects from America is that she keep alive, in human history, a fraternal recognition of the dignity of man. Die Anerkennung der Würde des Menschen ist für Maritain am wichtigsten.
[Die University of Notre Dame gründete 1957 ein eigenes Jacques Maritain Center. Maritain kehrte 1960 nach Frankreich zurück. Er starb 1973.]
South Bend, 19. Jänner 1975
Die Depression damals und heute
Wenn immer eine Wirtschaftsregression eintritt und die Arbeitslosenquote die 6-7 Millionen-grenze erreicht, taucht in Amerika das Schreckgespenst der grossen Wirtschaftskrise der 30er-Jahre auf. Um nicht das Mass der Dinge zu verlieren, ist es ratsam, sich einige Zahlen der Great Depression in Erinnerung zu rufen. Die Grosse Depression wurde durch den Börsenkrach vom 29. Oktober 1929 ausgelöst, als die Aktienkurse haltlos in die Tiefe stürzten. Die Folge war in den nächsten Jahren die höchste Zahl an Arbeitslosen, die je in Amerika verzeichnet wurde. 1933 hatte die Arbeitslosenquote 25% der erwerbsfähigen Bevölkerung erreicht. Derzeit steht die Zahl der Arbeitslosen bei 7.2%. Am Höhepunkt der Great Depression 1933 waren viele Banken zahlungsunfähig geworden, wodurch ein Grossteil der Bevölkerung seine Spareinlagen verlor. Da zudem zahlreiche Hypotheken für verfallen erklärt wurden, mussten viele Farmer ihr Land verlassen. Inzwischen hat man aber viel dazugelernt: Bankeinlagen sind nun bis zu einer gewissen Höhe gesetzlich geschützt, und seit dem New Deal sind auch eine Reihe von Sozialmassnahmen eingeführt worden, die im Notfall vor dem Ärgsten schützen. Eine Wiederholung der Great Depression ist daher in Hinkunft sehr unwahrscheinlich.