Präsident Carter in Europa
Auf dem Gipfeltreffen der sieben führenden Industrienationen (BRD, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Japan, Kanada und die USA) in London traf Präsident Carter zum erstenmal mit den Regierungschefs in Europa zusammen. Wird es ihm gelingen, seinen unverbrüchlichen amerikanischen Optimismus auf seine europäischen Gesprächspartner zu übertragen? Carter benützte seinen Aufenthalt in England, um die Gedenkstätte von George Washington in dem nordwestlich von London gelegenen Sulgrave zu besuchen. Ein Zweig der Familie Washington war von dort im 17. Jht. nach Amerika gekommen. Aus Anlass seines Besuches wurde Carter die Ehrenbürgerurkunde des Städtchens überreicht.
[Die Familie Washington, die dem niederen Landadel angehörte, hatte ihren Ansitz in dem Dorf Sulgrave in Northamptonshire. Als Folge des Puritanischen Bürgerkrieges war der Urgrossvater von George Washington 1657 nach Virginia ausgewandert, wo er sich als Plantagenbesitzer etablieren konnte. Sulgrave hat eine Gedenkstätte für George Washington, den ersten Präsidenten der Vereinigten Staaten, errichtet.]
Innsbruck, 19. Mai 1977
Südafrika
Die fortgesetzte Apartheid-Politik in Südafrika ist zum Skandal geworden, den die Weltöffentlichkeit nicht mehr teilnahmslos hinnehmen kann. Wie weit aber die Standpunkte von Pretoria und der übrigen Welt auseinanderklaffen, wurde dieser Tage in Wien bei der Konferenz zwischen US-Vizepräsident Walter Mondale und dem südafrakanischen Ministerpräsident Johannes Vorster deutlich. Während Mondale in unmissverständlicher Sprache für die Menschenrechte eintrat, beteuerte Vorster, dass die Lage der Neger in Südafrika nicht mit denen in Amerika verglichen werden könne, und fügte hinzu, dass Südafrika ohnedies schon alles getan habe, was die Welt von ihm erwarte.
Innsbruck, 20. Mai 1977
Am Ziel angelangt
Die Mitteilung von der University of Notre Dame, dass ich zum full professor ernannt worden bin, erfüllt mich mit einem grossen Glücksgefühl. Nach zwanzigjährigem Bemühen, Umwegen und Überwindung vieler Hindernisse, ist nun das Ziel der akademischen Karriere erreicht.
Innsbruck, Sonntag, 22. Mai 1977
Präsident Carter in Notre Dame
Schon in den 10 Uhr Abendnachrichten wurde hier über die Rede berichtet, welche Präsident Jimmy Carter heute Nachmittag bei den Commencement-Feierlichkeiten an der University of Notre Dame in Indiana gehalten hat. Carter, dem ein Ehrendoktorat der Jurisprudenz verliehen wurde, hielt die Commencement Address. Es war eine Grundsatzerklärung der neuen amerikanischen Aussenpolitik, die in Europa aufhorchen liess. Carter wird demnach die amerikanische Aussenpolitik auf eine neue moralische Grundlage stellen. Er kündigte an, dass die Zusammenarbeit mit der Dritten Welt verstärkt und Anstrengungen unternommen würden, um das Nord-Südgefälle auszugleichen. Vor allem hob er hervor, dass er sich dafür einsetzen werde, die Furcht vor dem Kommunismus zu überwinden. Amerika sei auch nicht mehr bereit, rechtsgerichtete Diktatoren zu unterstützen, nur um den Kommunismus zu bekämpfen. Die Politik, den Teufel mit Beelzebub austreiben zu wollen, habe Schiffbruch erlitten. Amerika sei bereit, die Détente weiterhin zu fördern, mit der Sowjetunion und der Volksrepublik China zusammenzuarbeiten. Vorrangig bleibe aber in seiner Politik die Wahrung der Menschenrechte.