Fast eine Staatskrise
Der Bau des Donaukraftwerkes bei Hainburg in Niederösterreich östlich von Wien hat fast eine Staatskrise heraufbeschworen. Rund 5.000 Demonstranten haben die Stopfenreuther Au, ein bekanntes Naturreservoir der Donau, besetzt, um die Rodungsarbeiten zu verhindern. Um sich nicht dem Vorwurf auszusetzen, die Anarchie zu dulden, blieb dem Innenminister keine andere Wahl, als mit Polizei und Gendarmerie die Rodungsarbeiten zu erzwingen und die Besetzung der Umweltschützer aufzulösen. Die beschwörende Mahnung des Innenministers zur Besonnenheit liess aufhorchen. Am meisten wird befürchtet, dass Mitglieder des ÖGB (Österreichischer Gewerkschaftssbund) zur Gegendemonstration nach Hainburg ziehen, was eine gewalttätige Auseinandersetzung zwischen Arbeitern und Studenten zur Folge haben könnte.
Mittwoch, 19. Dezember abends
Die gefürchtete Gegendemonstration durch den ÖGB blieb in massvoller Zurückhaltung aus. Dafür entschloss sich die Regierung, die Besetzung der Stopfenreuther Au aufzulösen. Heute früh sperrten Polizei- und Gendarmerieeinheiten das Gebiet ab, der Weg zur Rodung wurde freigemacht. Es kam zu einigen Handgreiflichkeiten zwischen Sicherheitsorganen und Umweltschützern. Das Eingreifen der Polizei brachte dagegen an die Zehntausend Demonstranten auf die Ringstrasse in Wien. Die Frage des Umweltschutzes ist damit akut geworden. Der Umweltschutz bewegt und spaltet die Bevölkerung in einem Ausmass, wie man es kaum für möglich gehalten hätte. Die Umweltschutzfrage könnte den Anstoss dazu geben, dass sich die politische Landschaft in Österreich wie in den übrigen Industrieländern verändert. Es muss ein Konsensus zwischen Wirtschaft und Umweltschutz, Ökonomie und Ökologie gefunden werden.
Nachtrag
[Zu Jahresbeginn 1985 wurde von der österreichischen Regierung das Kraftwerksbauprojekt Hainburg auf unbestimmte Zeit eingestellt.]