University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


[Über Weihnachten besuchten meine Frau und ich unseren Sohn Franz, unsere zukünftige Schwiegertochter Susan und deren Eltern in Sunnyvale, Kalifornien.]

Sunnyvale, 24. Dezember 1986

Weihnachten in Silicon Valley

“Jingle Bells,” “We Wish You a Merry Christmas,” “Feliz Navidad,” “O Tannenbaum,” “Stille Nacht,” so klingt es in mehreren Sprachen und Variationen über die vielen Lautsprecheranlagen, die schon seit Wochen in den grossen “shopping malls” für weihnachtliche Begleitmusik sorgen. Tausende von Menschen in einer bunten Mischung von Okzident und Orient - englisch, deutsch, skandinavisch, italienisch, spanisch-mexikanisch neben chinesisch, vietnamesisch, japanisch und koreanisch, um nur die wichtigsten ethnischen Gruppen zu nennen - strömen in diese riesigen Einkaufszentren. Der Reichtum an Konsumgütern bietet sich hier in einer die Sinne betörenden Fülle an. Das Verkaufspersonal, schon sichtlich erschöpft, macht noch auf letzte Gelegenheitseinkäufe aufmerksam, tippt mechanisch für jeden verkauften Artikel die Seriennummer ein oder lässt die Ware über den “barcode scanner” des UPC (United Product Code) der Registrierkasse laufen. Auf diese Weise wird im Vertriebsbereich der grossen Firmen des Einzelhandels jeder auch noch so kleine Artikel in Amerika und Kanada zentral für die Inventur erfasst, was die marktgerechte Lagerhaltung geradezu revolutioniert hat.

Diese und ähnliche umwälzenden Erneuerungen auf dem Güter- und Verbrauchermarkt sind in den letzten zwei Jahrzehnten durch die Erfindungsgabe von Silicon Valley möglich geworden. Das ursprüngliche Santa Clara Valley ist durch den Spitznamen Silicon Valley weltweit bekannt geworden. Der Name Silicon Valley hat sich ergeben, da hier seit 1957 die Silicon Chips (Silikon-Halbleiterplättchen) entwickelt und hergestellt worden sind, die bekanntlich die Bausteine für die Computerindustrie bilden. Aber was ist eigentlich das so oft genannte und auch oft missverstandene Silicon Valley? Es ist kurz gesagt der 30 Meilen lange Landstreifen am Südende der San Francisco Bay, der sich von Palo Alto über Mountain View, Sunnyvale, Santa Clara nach San Jose erstreckt. Hier haben sich in einer mediterran anmutenden Landschaft an die 500 der bekanntesten Elektronik-Firmen angesiedelt. Es ist zum Weltzentrum der Computertechnologie und elektronischen Datenverarbeitung (EDV) geworden. Von hier aus wurde das neue Zeitalter der EDV und Telekommunikation eingeleitet, dessen Entwicklung erst am Anfang steht. Auf dem Camino Real fliesst ein ständiger Verkehr. Man fährt von Palmen gesäumten Alleen entlang, in den Gärten blühen die Rosen und an den Zitronen-und Orangenbäumen hängen die reifen Früchte. Die Luft ist frühlingshaft mild, das Klima, am Ostabhang der Santa Cruz Mountains gegen den Pazifik hin geschützt, bleibt das Jahr über ausgeglichen.

Das Leben in Silicon Valley zeigt nach aussen hin nicht die Anzeichen des harten Wettbewerbs oder einer ständigen Beschattung wegen des Verdachts der Industriespionage. Im Gegenteil, die Lebensatmosphäre ist ungezwungen, geradezu idyllisch ruhig, was aber nicht darüber hinwegtäuschen soll, dass hier hart und mit Risiko gearbeitet wird. Die Komputertechnologie hat eine neue Sprache und Lebensform entwickelt, die das 21. Jahrhundert bereits vorwegnimmt. Es entsteht kein Lärm, und die saubere Industrie erzeugt auch keine Luftverschmutzung. Die neue Büroarchitektur fügt sich in die Grünanlagen wie ein einziger grosser Campus, als wäre das Gelände der Stanford University einfach erweitert worden. Es ist eine neue “clicking” - und Tastenkultur entstanden, die Informationen speichert, abruft, kombiniert und weitergibt. Die ganze Aufmerksamkeit bleibt am Bildschirm haften. Es werden kaum noch Bücher gelesen und ausser e-mail Briefe geschrieben. Es hat den Anschein, als würde die humanistische Bildung, die man aus Europa oder selbst auch von der Ostküste der Vereinigten Staaten mitgebracht hat, bereits einer überwundenen Vergangenheit angehören.

Sunnyvale, 31. Dezember 1986

Steinbeck Country

Nur wenige Stunden Fahrt mit dem Auto von hier gegen Süden kommt man in das Salinas Valley sowie an die Bucht von Monterey, die Gegend, die als Steinbeck Country bekannt geworden ist. John Steinbeck (1902-68), in der Stadt Salinas geboren, hat die Landschaft und Menschen seiner unmittelbaren kalifornischen Heimat zum Gegenstand seiner Erzählungen und Romane gemacht. Dazu gehören The Pastures of Heaven (1932), The Long Valley (1938), Tortilla Flat (1935), Cannery Row (1945) und East of Eden (1952). Als Steinbeck 1962 mit dem Nobelpreis für Literatur ausgezeichnet wurde, ist diese Landschaft in das allgemeine Bewusstsein gerückt. Im Mündungsdelta des Salinas River in der Bucht von Monterey erstreckt sich eines der fruchtbarsten Landstriche der Erde. Soweit das Auge reicht, dehnen sich die Artischocken- und Salatanbaufelder aus. Im Vorgebirge nach Salinas steht unter Eukalyptusbäumen die in ihrem ursprünglichen Zustand gut erhaltene Mission San Juan Bautista. Dahinter erhebt sich die karge und unzugängliche Gebirgskette der Diablo Range, welche das Salinas Valley gegen Osten abschliesst. Steinbeck hat sich der “paisanos,” der durchziehenden mexikanischen Landarbeiter angenommen, deren Schicksal er menschlich nahebringt.

Die Stadt Monterey ist zur Touristenattraktion geworden. In der “Cannery Row” (Sardinenstrasse) werden schon längst nicht mehr Sardinen verpackt. Die verfallenen Hütten der einstigen Konservenfabrik sind inzwischen in einen Vergnügungspark mit Geschäften, Antiquitäten und Restaurants umgebaut worden. Doch der eigentliche Anziehungspunkt für den Tourismus ist das 1984 eröffnete grosse Monterey Bay Aquarium am Ende der “Cannery Row” geworden.

Die Halbinsel von Monterey hat eine Landschaft von herber Schönheit. Wenn man von Monterey auf dem berühmten “17-Mile Drive” der Küste entlang nach Carmel fährt, wird man von einer eigenartig wilden Vegetation überrascht. In den Klippen der Steilküste halten Zypressen der starken Brandung des Pazifiks stand. Und auf den vorgelagerten kleinen Inseln wie in den Riffen tummeln sich Ottern, Robben, Seelöwen und Pelikane. Vor Carmel, direkt an der Pazifikküste, liegt Pebble Beach, wohl einer der schönsten und zugleich schwierigsten Golfplätze der Welt.


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