University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Philadelphia, 7. Mai 1961

The Americans are so concerned with the Russians that they seem to forget the rest of the world.

On the European imagination, the Susquehanna seems more like a brook, but if one sees it here, it is indeed as wide as the Danube.

Die Amerikaner sind so sehr mit den Russen beschäftigt, dass sie den Rest der Welt zu vergessen scheinen.

In der europäischen Vorstellung ist der Susquehanna mehr ein Bach, aber wenn man ihn hier sieht, ist er in Wirklichkeit so breit wie die Donau.

Philadelphia, 9. Mai 1961

James Fenimore Cooper on American Society

It is surprising how many of Cooper's remarks about American society are still valid today. Every society in its early stages of growth seems to develop patterns of life that endure throughout its history. On this basis, differences between Europe and America throughout the 19th century up to the present day can be established with validity and meaningful insight.

Es ist überraschend, wieviele der Feststellungen Coopers über die amerikanische Gesellschaft heute noch zutreffen. Jede Gesellschaft scheint in den frühen Stadien ihres Wachstums Lebensformen zu entwickeln, die im Verlaufe ihrer Geschichte bewahrt bleiben. Davon ausgehend, können Unterschiede zwischen Europa und Amerika im Verlaufe des 19. Jahrhunderts und bis zum heutigen Tag herauf zutreffend festgestellt und sinnvolle Einsichten gewonnen werden.

[Es bestehen offensichtliche Parallelen zwischen den Ansichten Coopers und den Beobachtungen von Alexis de Tocqueville über die amerikanische Demokratie.]

[Mitte Mai 1961 folgte ich einer Einladung von Professor and Mrs. Horace Montgomery nach Athens, Georgia. Professor Montgomery von der University of Georgia hatte im Wintersemester 1959-60 als Fulbright-Gastprofessor am Amerika-Institut der Universität Innsbruck gelehrt. Aus der Begegnung mit den Montgomerys entstand eine freundschaftliche Verbundenheit auf Lebenszeit.]

12.-20. May 1961

First Impressions of the South

Southern thinking is still very much rooted in the era of the Civil War and its aftermath. Traveling through the Southern states, I realized what the Confederacy and Jefferson Davis meant to these people and how antagonistic the feelings against the North really were. Going down to Georgia on the Seabord Express, I at first noticed no difference to what I had experienced in Philadelphia because these trains are desegregated. But returning to the North on local trains, I realized what segregation means. Actually, the South accepts it as a way of life which both colored and white people seem to accept without thinking that it could be different. They go as a matter of course into segregated waiting rooms, passenger cars, rest rooms, etc., without giving the impression of doing so under psychological pressure or tension. Most clearly segregated are residential areas and schools. In these areas integration appears to be the most difficult.

Negro housing in the South is still extremely poor and shabby. They live in broken-down shacks and shanties. Much labor on the plantations is still done by hand. There are many whites who refuse to accept the Negro as an equal human being. A letter in an Atlanta newspaper stated that white people would move away if what happened to Washington should happen to Atlanta. The “Freedom Riders” experiment on interstate bus lines shows the depth of anti-Negro sentiment in the Deep South. In cases of such deliberate provocation from the North, mob violence can hardly be controlled. I was in Atlanta when the “Freedom Riders” came through. Nothing happened in Georgia, but they ran into serious trouble in Alabama. In view of this situation, what has already been accomplished in Northern cities is quite remarkable. In desegregated cities like New York, Philadelphia, and in recent years also Washington, whites and colored people mingle without much trouble. It is to be expected and hoped that eventually such a natural attitude in race relations will also spread throughout the South. But another generation will have to pass, before the South is desegregated in this sense.

The scenery of the South is of great beauty. Green pastures and cattle farms alternate with tobacco and cotton fields. Much land is still untilled. I saw many new clearings cut into primeval forests. The people I met were extremely courteous. The houses I visited showed exquisite taste. The Southerner thinks in agrarian terms, he loves his soil, lush forests and abundant game.

Since the South is to a great extent cut off from the outside world – there is no international harbor along the seaboard, and foreign visitors are rare -, it is rather provincial. I think nobody will ever be able to understand this region of America without having first traveled through it and come in contact with the people who have grown up there.

Übersetzung

Erste Eindrücke vom Süden

Das Denken im Süden ist noch immer stark in der Zeit des Bürgerkrieges und seiner Nachwirkungen verwurzelt. Auf der Reise durch die Südstaaten wurde mir bewusst, was die Konföderation und Jefferson Davis für diese Menschen bedeutet haben, und wie feindlich die Gefühle dem Norden gegenüber waren. Als ich mit dem Seabord Express nach Georgia hinunterfuhr, merkte ich zunächst keine Unterschiede zu dem, was ich in Philadelphia erlebt hatte, weil auf diesen Expresszügen die Rassentrennung aufgehoben worden war. Als ich aber auf der Rückfahrt nach Norden mit Lokalzügen fuhr, wurde mir klar, was die Rassentrennung bedeutet. Der Süden nimmt sie in der Tat als eine Lebensweise hin, worüber sich Farbige und Weisse keine Gedanken zu machen scheinen, dass es auch anders sein könnte. Sie gehen mit Selbstverständlichkeit in getrennte Warteräume, Wagenabteile, öffentliche Bedürfnisanstalten etc., ohne den Eindruck zu machen, dass dies unter psychologischem Druck oder Spannung geschehe. Am offensichtlichsten sind Wohngebiete und Schulen getrennt. In diesem Bereich scheint die Integration am schwierigsten zu sein.

Die Wohnverhältnisse für Neger sind im Süden noch äusserst arm und schäbig. Sie leben in heruntergekommenen Bretterbuden und Hütten. Auf den Plantagen wird noch viel Arbeit mit der Hand gemacht. Es gibt viele Weisse, die sich weigern, den Neger als gleichwertigen Menschen anzunehmen. In einem Brief in einer Atlanta Zeitung wurde behauptet, dass die Weissen wegziehen würden, wenn das, was Washington geschehen ist, Atlanta geschehen sollte. Das “Freedom Riders” Experiment auf zwischenstaatlichen Buslinien zeigt, wie stark im Tiefen Süden das Ressentiment gegen die Neger ausgeprägt ist. Im Falle solcher beabsichtigter Provokationen vom Norden, können Gewalttaten durch den Mob kaum unter Kontrolle gehalten werden. Ich war in Atlanta, als die “Freedom Riders” durchkamen. In Georgia geschah nichts, sie stiessen aber auf ernste Schwierigkeiten in Alabama. Wenn man diese Situation in Betracht zieht, ist es doch sehr bemerkenswert, was in den Städten im Norden bereits erreicht wurde. In Städten, in denen die Rassentrennung aufgehoben wurde, wie New York, Philadelphia, und in den letzten Jahren auch in Washington, mischen sich Weisse und Farbige ohne viel Aufhebens. Man kann erwarten und hoffen, dass ein solch natürliches Verhältnis der Rassen zueinander sich auch im Süden verbreiten wird. Aber es wird noch eine Generation brauchen, bis sich auch im Süden die Aufhebung der Rassentrennung in diesem Sinne durchsetzt.

Die Landschaft des Südens ist von grosser Schönheit. Grüne Weiden und Rinderfarmen wechseln mit Tabak- und Baumwollfeldern ab. Viel Land liegt noch brach. Ich sah viele neue Lichtungen, die durch den Urwald geschlagen wurden. Die Menschen, die ich traf, waren äusserst höflich. Die Häuser, die ich besuchte, zeigten einen auserlesenen Geschmack. Der Südstaatler denkt in agrarischen Begriffen. Er liebt seinen Boden, die üppigen Wälder und das reichhaltige Wild.

Da der Süden weitgehend von der Aussenwelt abgeschnitten bleibt – es gibt entlang der Küste keinen internationalen Hafen, und Besucher vom Ausland sind selten -, ist er sehr provinziell. Ich bezweifle, ob jemand, der diese Region von Amerika nicht bereist hat, und mit den Menschen, die hier aufgewachsen sind, in Kontakt gekommen ist, jemals imstande sein wird, den Süden zu verstehen.

The Southern Drawl

Der sogenannt “Southern Drawl” (langsames, ausgedehntes Sprechen) lässt sich am besten in der verschiedenen Intonation erklären. Die südliche Intonation bevorzugt Hochtonlage auf der Hauptakzentsilbe. Die Tonqualität ist allgemein sehr weich und melodiös, im Tempo langsam. Der “Southern Drawl” lässt sich am besten bei Vokalen vor –r-, wie in “Ford” oder “Georgia” erkennen.

Kommentar zum Süden

[Zu Beginn der 60er-Jahre war das “Civil Rights Movement” (Bürgerrechtsbewegung) in Aktion getreten, um die Öffentlichkeit auf das Unrecht der Rassentrennung aufmerksam zu machen. Studentengruppen aus dem Norden – Weisse zusammen mit ihren schwarzen Kommilitonen – fuhren in Bussen als “Freedom Riders” in den Süden und veranstalteten “sit-ins” an segregierten Bushaltestellen, Bahnhöfen und anderen öffentlichen Plätzen. Damit wurde die Segregation auf ihre Gesetzwidrigkeit hin auf die Probe gestellt.]

Philadelphia, 21. Mai 1961

Besides her beauty, America has aspects of sickening ugliness.

Neben seiner Schönheit hat Amerika Hässlichkeiten, bei deren Anblick einem übel werden könnte.

Philadelphia, 22. Mai 1961

Es kommt mir hier immer mehr zum Bewusstsein, welches Versäumnis das europäische Erziehungssystem in Bezug auf die aussereuropäische Welt nachzuholen hat.

Philadelphia, 30. Mai 1961

Die Jugendkriminalität ist ein Krebsschaden, der an jeder modernen Grossstadt zehrt. Doch scheint sie hier in einem erschreckenden Ausmass auf. Ein Grund dafür mag wohl in der mangelnden Berufsausbildung liegen.

Ganze Viertel dieser Stadt sind dem Verfall nahe, und deren Elendsquartiere bieten einer unüberschaubaren Bevölkerungsmasse notdüftige Unterkunft und Zuflucht. Andererseits ist die Initiative, mit der die Stadtbehörden an den Neuaufbau gehen, erstaunlich.

Kommentar zur Städteerneuerung

[Das war der Anfang einer gross angelegten “City Renewal” (Städteerneuerung), die in den meisten amerikanischen Grossstädten in den 60er-Jahren vorangetrieben wurde. Dadurch erhielten die amerikanischen Innenstädte im Laufe der nächsten drei Jahrzehnte ein neues Gesicht. Allerdings wurden meistens “high rises” (Hochbauten) aufgeführt, die Büroräume zur Verfügung stellten. Durch die fortschreitende Motorisierung und die Flucht in die Vororte waren die Innenstädte als Wohnraum kaum mehr zu retten.]

Philadelphia, 31. Mai 1961

Das Mobile Home – ein vorfabriziertes Wanderhaus – scheint ein verspäteter Nachfahre des “covered wagon” (Planwagens) aus der Pionierzeit zu sein.


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