University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Innsbruck, 5. September 1964

Ein Bürger zweier Welten

Wer nach einem längeren Aufenthalt in den Vereinigten Staaten nach Europa zurückkommt, wird eine nicht zu leugnende Veränderung in der Sicht der alten Heimat feststellen. Das ist jedenfalls mein eigenes Erlebnis. Schon auf der Fahrt von Le Havre hierher sah ich die Dinge mit anderen Augen: Der Eisenbahnzug, die Landstrassen, Städte und Dörfer erschienen wie eine verspielte, verträumte Welt. Die europäische Landschaft kam mir wie ein einziger Park vor, wobei die Naturschönheit der Alpen aufs Neue überraschte. Bei der Rückkehr nach Innsbruck stand ich voll Staunen vor dem einzigartigen Bild der Altstadt mit der steilaufragenden Nordkette als Hintergrund. Andererseits muss man sich wieder an die engen Strassen und den Verkehr mit seinem bunten Durcheinander von Fussgängern, Fahrrädern, Strassenbahnen, Bussen, Motorrädern und Autos aller Grössen gewöhnen. Ein gewisses Gefühl des Unbehagens und der Entfremdung im eigenen Land lässt sich nicht leugnen. Dagegen nimmt man die kleinen Freuden des Lebens um sie lieber auf: Ein freundlicher Kellner, der ein Menü im Garten serviert; eine Tasse Kaffee in einer Konditorei; ein Spaziergang durch den Hofgarten; sowie ein Besuch des Landestheaters. Nach einiger Zeit wird man sich gewiss wieder an den Lebensrhythmus zu Hause anpassen. Aber trotzdem wird die Sehnsucht bestehen bleiben, wieder einmal in das ganz andere Land zu reisen und seine Grosszügigkeit zu erleben. Man ist ein Bürger zweier Welten geworden, die voneinander wohl sehr verschieden sind, aber in ihren Vor- und Nachteilen einander ergänzen.


<< Lanzinger >>