University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Innsbruck, 1. März 1985

Der Höhenflug

Der US-Dollar befindet sich derzeit auf einem Höhenflug. Längst wurde die psychologische Schwelle von 3 DM überschritten. Am heutigen Tag bekommt man für 1 Dollar 3.32 DM, 10.18 fr. Francs, 2.020 Lire, oder 23.20 öster. Schillinge. Wie eine Fieberkurve schwankt der Wechselkurs auf und ab, bleibt aber doch auf Höhen, die es seit 15 Jahren nicht mehr gegeben hat. Der hohe Dollarkurs hat auch seine Schattenseiten. Er bringt die Zahlungsbilanzen durcheinander, heizt die Inflation an, wobei sich Preise für den Warenaustausch schwer vorauskalkulieren lassen. Dazu werden die Vereinigten Staaten von einer Importflut überschwemmt, die das Aussenhandelsdefizit sprunghaft ansteigen lässt. Und trotzdem ist das Vertrauen in den Dollar als Leitwährung für den Welthandel und in die politische Stabilität der Vereinigten Staaten so stark wie schon lange nicht mehr. Dieser aussergewöhnliche Höhenflug des Dollars wird sich auf die Dauer nicht halten können. Ob der Wechselkurs des Dollars wieder so rasch absinken wird, wie er gestiegen ist, wird sich erst in den nächsten Monaten erweisen.

11. März 1985

Der Generationswechsel im Kreml

Heute Mittag kam die Nachricht durch, dass Staats- und Parteichef Konstantin Tschernenko gestorben ist. Nach kaurn 13 Monaten tritt somit in der UdSSR wieder ein Wechsel in der Staats- und Parteiführung ein. Ohne Zeit zu verschwenden und gewiss nicht ohne Vorbereitung wurde bereits heute Mikhail Gorbatschow als Nachfolger von Tschernenko bestellt. Mit Gorbatschow, 54 Jahre alt, bahnt sich nun ein Generationswechsel im Kreml an.

21. März 1985

Das Bach-Jahr

Heute vor 300 Jahren wurde Johann Sebastian Bach in Eisenach geboren. Die zahlreichen musikalischen Darbietungen zu diesem Terzentenarium rufen das monumentale Musikschaffen von Johann Sebastian Bach wieder lebendig in Erinnerung. Bach klingt alt und doch wiederum erstaunlich modern. Seine Auswirkung auf das abendländische Musikschaffen ist kaum abzuschätzen. Besonders durch die Kirchenmusik ist Bach auch in Amerika zum allgemeinen kulturellen Besitz geworden.

Innsbruck, 29. März 1985

Marc Chagall (1887-1985)

Gestern ist Marc Chagall im Alter von 97 Jahren in Südfrankreich gestorben. Mit ihm ist eine der eigenwilligsten und bedeutendsten Persönhichkeiten der bildenden Kunst unseres Jahrhunderts heimgegangen. Die Form- und intensive Farbensprache Chagalls ist unverkennbar. Über seinen Bildern liegt ein poetischer Hauch, seine freischwebenden Figuren wirken zauberhaft mystisch. Woimmer man Chagall begegnet - in Zürich, New York oder Chicago - , bleibt ein nachhaltiger, unvergesslicher Eindruck.

Kommentar

[Marc Chagall wurde am 7. Juli 1887 in Russland in der Stadt Witebsk an der Düna geboren. Er wurde zuerst in St. Petersburg ausgebildet, kam aber bereits 1910 nach Paris. Chagall verbrachte den Grossteil seines Lebens in Frankreich. 1939 ging er zunächst nach Südfrankreich. Eine Einladung vom Museum of Modern Art in New York ermöglichte es ihm, mit seiner Familie 1941 nach Amerika zu kommen. Er kehrte 1947 wieder nach Südfrankreich zurück und wählte Vence bei Nizza als seinen ständigen Wohnort. Aus tiefem religiösem Empfinden gestaltete er zahlreiche Themen und Motive aus dem Alten Testament. Chagalls Werke sind weltweit verbreitet. Seine Glasmalereien, Bilder, Mosaike und Wandgemälde sind in Kirchen, Synagogen, Museen, auf öffentlichen Plätzen, in Theatern und Opernhäusern in Europa wie in Amerika anzutreffen. Chagall schuf 1966 die zwei grossen Wandgemälde, die den Triumph der Musik darstellen, für die neue Metropolitan Opera im Lincoln Center in New York. Das berühmte Bild aus seiner frühen Schaffensperiode The Rabbi of Vitebsk (1914) ist im Art Institute of Chicago zu sehen. Marc Chagall starb am 28. März 1985 in Vence.]

29. März 1985

Das Europa der 12

Nach einer Marathonsitzung in der vergangenen Nacht in Brüssel sind Spanien und Portugal in die EG aufgenommen worden. Die Europäische Gemeinschaft ist nun auf 12 Mitglieder angewachsen. So nimmt das Rumpfeuropa langsam, aber doch sicher glaubhafte Gestalt an. Gerade die Süderweiterung, die Einbeziehung der Iberischen Halbinse in die Gemeinschaft, kann sich für Europa fruchtbar auswirken, kommt doch nach jahrhundertelanger Abgeschiedenheit ein reiches Kulturgebiet wieder stärker ins europäische Bewusstsein zurück. Spanien und Portugal können ihrerseits Anschluss an die moderne wirtschaftliche und technologische Entwicklung finden.


<< Lanzinger >>