University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


6. Mai 1985

Enttäuschender Wirtschaftsgipfel

Der Wirtschaftsgipfel der G-7 in Bonn ist eigentlich enttäuschend verlaufen. Trotz bekundeter Einigkeit kam kein Abkommen zustande. Es waren nur Versprechungen, die Inflation zu bremsen, die Wirtschaft anzukurbeln und neue Arbeitsplätze zu schaffen. Die Gefahr einer gegenseitigen restriktiven Tarifpolitik bleibt weiterhin bestehen.

In seiner Ansprache vor rund 10.000 deutschen Jugendlichen sicherte Präsident Reagan den Schutz Europas und der Bundesrepublik zu und stellte in Aussicht, dass ganz Europa wieder frei und einig werde. Die Resonanz auf die Rede war freundlich, aber doch distanziert. Unterschiede in der Auffassung von einem geeinten Europa traten deutlich zutage.

Innsbruck, 19. Mai 1985

Der Stein des Anstosses

Das von Präsident Reagan mit Nachdruck vorangetriebene SDI (Strategic Defense lnitiative)-Projekt ist innerhalb der europäischen Verbündeten zum Stein des Anstosses geworden. Das auch als “Star Wars” bekannt gewordene Projekt sieht vor, dass anfliegende Raketen im Weltraum abgefangen und zerstört werden. Sollen die NATO-Länder, dem Vorschlag Reagans folgend, sich an dem Projekt beteiligen oder ihr eigenes Verteidigungskonzept entwickeln? Bundeskanzler Kohl befürwortet die europäische Beteiligung am SDI-Projekt, Präsident Mitterand hat dagegen seine Einschränkungen. Daraus scheint ein neuer Konfliktstoff zu entstehen, der nicht nur zu Missverständnissen zwischen Amerika und Europa, sondern auch zum Zerwürfnis innerhalb der Europäischen Gemeinschaft führen kann. Erst die kommenden Jahre werden zeigen, ob das SDI-Projekt nur als Trumpf bei den strategischen Abrüstungsverhandlungen in Genf ausgespielt wird, oder ob sich damit tatsächlich die Möglichkeit bietet, die Gefahr eines Atomkrieges zu verringern.

Anmerkung

[Präsident Reagan hatte in der Fernsehansprache an die amerikanische Nation vom 23. März 1985 bekanntgegeben, dass er für die zukünftige Verteidigung der USA ein Abwehrsystem in Aussicht stelle, das heranfliegende Interkontinentalraketen im Weltraum abfängt und zerstört, ehe sie das Territorium der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten erreichen. Er überraschte damit nicht nur die Weltöffentlichkeit, sondern auch seine engsten Mitarbeiter. Secretary of State George Shultz gab zu bedenken, dass die Strategic Defense Initiative im Widerspruch zum ABM (Anti-Ballistic Missile)-Vertrag von 1972 stehe, in dem ausdrücklich die Errichtung von Raketenabwehrsystemen im Weltraum untersagt wird. Im Kongress wurden Stimmen gegen die hohen Kosten laut. Die Mehrzahl der Wissenschaftler hielt das Projekt für undurchführbar. Die Führung im Kreml war jedoch durch Reagans SDI äusserst irritiert. Innerhalb der europäischen Verbündeten wirkte Reagans Vorschlag verwirrend. Es wurde befürchtet, dass dadurch die Abrüstungsverhandlungen in Genf wieder entgleisen könnten. Reagan hingegen war davon überzeugt, dass durch die weitere Enwicklung von Satelliten und die Fortschritte in der Computer- und Lasertechnologie sein SDI-Projekt verwirklicht werden kann. Aller Einwände zum Trotz hielt er hartnäckig an der SDI fest. Siehe Edmund Morris, Dutch: A Memoir of Ronald Reagan, pp. 474-80.]


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