Der erste Flug über den Atlantik
Der Flug mit einer DC-8 von Zürich nach New York (ca. 10.000 m Höhe bei einer Geschwindigkeit von 800 km/h) vergeht so rasch, dass man kaum Zeit findet, das Mittagessen in Ruhe einzunehmen und die Zollerklärung auszufüllen. Ausserdem fliegen diese neuen Jets so ruhig, dass man die hohe Geschwindigkeit kaum spürt. Die unangenehmen Nachwirkungen des Transatlantikfluges machen sich erst nach der Landung bemerkbar. Durch den 6 Stunden Zeitgewinn kommt das physiologische System durcheinander. Wenn man sich um Mitternacht todmüde im Hotelzimmer in New York niederlegt, ist es doch nach Ortszeit erst 6 Uhr abend und taghell. Unwillkürlich wacht man um 3 Uhr früh wieder auf. Die Auswirkungen des jet lag lassen sich nicht leugnen. Erst nach drei Tagen stellt sich der Körper wieder einigermassen auf den Normalzustand ein. Die Vorteile des Fliegens sind aber gegenüber der Schiffsreise nicht von der Hand zu weisen. Durch den Flug schrumpfen die Distanzen zwischen Europa und Amerika so zusammen, dass die Illusion einer Lokalverbindung entsteht. Das gibt die Beruhigung, im Notfall in wenigen Stunden wieder zu Hause sein zu können. Es ist auch durchaus einsichtig, dass die Schifffahrt die Konkurrenz mit den Fluglinien nicht aufnehmen kann. Die Passagierschiffe zwischen Europa und Amerika werden bald der Vergangenheit angehören.
Erste Eindrücke auf amerikanischem Boden
Die Eindrücke, welche man in den ersten Tagen und Wochen nach der Ankunft in Amerika aus Europa, wie auch umgekehrt, gewinnt, sind die fruchtbarsten und oft erstaunlichsten, weil man gerade in dieser Zeit der Umstellung und Anpassung noch am empfänglichsten für die Gegensätze der beiden Kontinente ist.
1. Der erste Eindruck ist schon der Flughafen in New York. Im Vergleich zum John F. Kennedy International Airport in New York nehmen sich die Flughäfen Zürich-Kloten, München-Riem, oder Tempelhof in Berlin klein, bescheiden und improvisiert aus. Dabei ist der Flughafen O'Hare in Chicago noch grösser und in seiner Funktion imposanter als der JFK. Andererseits ist der Verfall des Eisenbahnnetzes in Amerika so weit fortgeschritten, dass viele grosse Bahnhöfe zum Verkauf ausgeschrieben sind. Durch die Abwertung der Schifffahrt und Eisenbahn zur Lieferung von Frachtgut hat sich die herkömmliche Art zu reisen grundlegend geändert.
2. Obwohl der allgemeine Lebensstandard in Europa in den letzten Jahren beträchtlich gestiegen ist, bleiben einem bei der Ankunft in den Staaten immer noch vor Verwunderung die Augen stecken. Wenn man im Super Market den shopping cart einmal richtig auflädt, stellt man an der Kassa mit Erstaunen fest, um wieviel billiger hier die Lebensmittel als zu Hause sind. Die Einkommensverhältnisse haben sich zwischen Amerika und Europa weiter verschoben, man kauft hier bei höherem Einkommen billiger ein. Schon das mittlere amerikanische Heim weist hier einen Lebensstandard auf, der in Europa als Luxus empfunden wird.
3. Die geistige Unsicherheit hat indessen in den Staaten stark zugenommen. Dazu haben der Krieg in Vietnam, die Rassenunruhen der vergangenen Sommer und die verschiedenen Umschichtungen im religiösen und weltanschaulichen Bereich beigetragen.
[Die Veränderung im öffentlichen Verhalten wurde vielfach durch die counterculture der 60er-Jahre hervorgerufen. Es war im wesentlichen eine Protestbewegung von Jugendlichen, die sich gegen die hergebrachten sittlichen Normen auflehnten und einen liberal enthemmten Lebensstil annahmen.]
4. Die Rassenunruhen haben durchaus nicht ein Chaos oder eine Bürgerkriegsstimmung hinterlassen, aber die Trennung zwischen Weiss und Schwarz hat sich dagegen verschärft. Die colored sections of town, wo eingeschlagene Auslagenfenster, geschlossene Geschäfte und abgebrannte Häuser von den letzten Unruhen zeugen, werden mehr gemieden als früher. Eine tiefgreifende Umschichtung scheint sich innerhalb der farbigen Bevölkerung selbst abzuzeichnen.
5. Der normale Ablauf des amerikanischen Lebens ist weder durch den Vietnamkrieg noch durch die Rassenunruhen aus seinem Gleichgewicht gebracht worden. Die weissen Wohngebiete in den suburbs erfreuen sich ihrer gewohnten Ruhe und Ordnung, während die Innenstädte immer mehr verfallen.
South Bend, 17. September 1967
Das neue Gefühl der Sicherheit
In Amerika lebt man einfach sorgloser als in Europa. Wer von Europa hierherkommt, muss sich erst von inneren Hemmungen freimachen. Man muss sich zuerst an die zwangslose Art des gesellschaftlichen Verkehrs gewöhnen. Die jedem einzelnen zustehenden Freiheiten im öffentlichen Leben erschliessen sich zunächst erst zaghaft und nicht ohne Unglaubwürdigkeit. Allmählich lösen sich Zwangsvorstellungen und die Angst davor, nicht das richtige Wort zu sagen. Die einmal gewonnene Entlastung von den mitgebrachten europäischen Ängsten und Sorgen wirken dann umso befreiender. Das Gefühl einer neu gewonnenen Sicherheit möchte man nicht mehr vermissen.