University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 3. März 1968

The Kerner Report

Der Bericht der von Präsident Johnson eingesetzten Untersuchungskommission über die Ursachen der Rassenunruhen des Vorsommers, der sogenannte Kerner Report, hat der amerikanischen Öffentlichkeit einen sichtlichen Schock versetzt. Daraus ist zu entnehmen, dass die Unruhen in Newark und Detroit vom Vorjahr nicht durch Agitation von aussen, sondern durch die katastrophale Lebenslage der schwarzen Bevölkerung in den Innenstädten verursacht worden war. Wenn nicht umfassende Massnahmen ergriffen werden, mahnt der Bericht, würde die amerikanische Gesellschaft in zwei verschiedene Teile auseinanderfallen, wobei nur mehr Polizeigewalt den Frieden erhalten könnte. Zur Beseitigung des sozialen Übels in den Ghettos müssten für die Arbeitsbeschaffung und den Wohnbau Milliarden aufgewendet werden. Bedingt durch den Krieg in Vietnam ist im Hinblick auf die gegenwärtig angespannte Finanzlage nicht damit zu rechnen, dass der Kongress Ausgaben in Milliardenhöhe zur Behebung der Not in den Innenstädten bewilligen wird. Eine Reihe von Politikern im Kongress hält den Kerner Bericht für unrealistisch und undurchführbar.

[Irving H. Siegel nimmt in The Kerner Commission Report and Economic Policy (Kalamazoo, Michigan: The W.E. Upjohn Institute for Employment Research, 1969) zum Report of the National Advisory Commission on Civil Disorders, allgemein als “Kerner Report” bekannt, Stellung. Danach bestehe für die amerikanische Gesellschaft die grösste Gefahr in einem “extensive breakdown of the sense of community” (weitgehenden Zusammenbruch des Gemeinschaftsgefühls). Arbeitslosigkeit und Teilbeschäftigung von Minderheiten in der Gesellschaft seien die Hauptursache für die Unruhen.]

[Judge Otto Kerner (1908-76) von Chicago war 1968 Chairman of the President's Commission on Civil Disorders.]

South Bend, 11. und 12. März 1968

Eine historische Auseinandersetzung

Die bereits seit Wochen erwartete öffentliche Befragung von Secretary of State Dean Rusk vor dem Senatsausschuss für auswärtige Angelegenheiten (Senate Foreign Relations Committee Hearing), die unter dem Vorsitz von Senator J. William Fulbright stand, ist gestern und heute über die Fernsehschirme gelaufen. Es kam zu einer bemerkenswerten Konfrontation zwischen Befürwortern und Gegnern der Vietnampolitik der Regierung. Dabei ist innerhalb der Demokratischen Partei eine kaum zu übersehende Kluft zutage getreten. Fulbright hat das Vorrecht des Senats hervorgehoben, wenn es um Krieg und Frieden geht, und das Vorgehen der Regierung in Vietnam in Frage gestellt. Dean Rusk hat auf der anderen Seite mit Geduld, Selbstbeherrschung und Gedankenklarheit die zwölfstündige Befragung über sich ergehen lassen und unverrückbar an der Regierungspolitik festgehalten. Dass dieses Verhör vor den Augen aller Welt abgeführt werden konnte, zeigt zugleich die Stärke und Schwäche der amerikanischen Demokratie. Der wachsende Unmut mit der Art der Kriegführung in Vietnam wurde ebenso deutlich wie die Gefahr eines neuen Isolationismus, bei dem sich die USA aus dem globalen Vertragsgeflecht zurückziehen könnten, weil die übernommenen Verpflichtungen selbst ihre Reserven überfordern. Es war eine bedeutende, historische Auseinandersetzung.

[Dean Rusk (1909-94), US Secretary of State unter Kennedy und Johnson von 1961-69.]

South Bend, 12. März 1968

The New Hampshire Primary

Die Vorwahl in New Hampshire hat einige überraschende Ergebnisse gebracht. So ist es Senator Eugene McCarthy gelungen, fast die Hälfte der Stimmen der Demokraten auf sich zu vereinigen, was ein klares Misstrauensvotum gegen die Regierungspolitik von Präsident Johnson darstellt. Es wurde damit auch an der Wahlurne bewiesen, wie gespalten das demokratische Lager ist. Von den Republikanern ging Richard Nixon mit 70% der Stimmen als überlegener Sieger hervor. Es ist kaum anzunehmen, dass Governor Rockefeller den Vorsprung Nixons auch nur annähernd einholen kann.

[Eugene J. McCarthy (1916- ), Senator von Minnesota 1959-70, war vor allem durch sein Eintreten für Sparsamkeit bei den Regierungsausgaben bekannt geworden.]

South Bend, 15. März 1968

Der Druck auf den Dollar

Die Anordnung der Königin von England, für den heutigen Tag die Banken ihres Landes in die Ferien zu schicken, wobei gleichzeitig auch die meisten Banken auf dem Festland geschlossen bleiben, ist eine notwendige Massnahme, um den Druck auf den US-Dollar abzufangen. Der Versuch von Charles de Gaulle, die Golddeckung des Dollars anzugreifen, hat zu panikartigen Goldkäufen geführt. Dadurch könnte das internationale Währungssystem, das sich seit der Konferenz von Bretton Woods, New Hampshire, im Juli 1944 auf die Goldparität des US-Dollars von $35 per Unze stützt, durcheinander geraten. In Europa scheint immer noch die Fiktion des Goldwertes vorzuherrschen, während man hier in Amerika mehr auf Industriewerte und Produktionskapazitäten hält.

South Bend, 18. März 1968

Über das Wochenende haben sich die Länder des Internationalen Währungsfonds dahingehend geeinigt, dass die Zentralbanken weiterhin an der Goldparität des Dollars von $35 per Unze festhalten, während für Warengold der Preis dem freien Markt überlassen wurde. Durch diese gemeinsame Aktion wird der Dollar als Leitwährung neuerdings aufrechterhalten, allerdings mit der Auflage, dass die hohe passive Handelsbilanz der USA reduziert und die Regierungsausgaben eingeschränkt werden.

[Diese doppelte Verrechnung des Goldes nach einem amtlichen Preis der Zentralbanken und einem freien Marktpreis für Warengold konnte sich nicht lange halten. Durch die zunehmende Ansammlung der Dollarguthaben im Ausland war die Goldparität von $35 per Unze nicht mehr tragbar. Am 15. August 1971 hob die Nixon Regierung die Goldpartät des US-Dollars auf. In den folgenden Jahren verlor der Dollar gegenüber den meisten europäischen Währungen und dem japanischen Yen an Wert. Gold erreichte 1980 seinen Höchstwert von $800 per Unze.]

South Bend, 18. März 1968

Robert Kennedy im Wahlkampf

Durch den Entschluss von Senator Robert Kennedy vom 16. März, als Kandidat für das Amt des Präsidenten in den Wahlkampf einzusteigen, was nach dem Erfolg von McCarthy in der New Hampshire Primary wohl zu erwarten war, wurde die Demokratische Partei noch mehr gespalten. Kennedy vertritt wie McCarthy ein anti-Johnson Programm, wobei sowohl McCarthy als auch Kennedy es ablehnen, eine gemeinsame Liste aufzustellen. Präsident Johnson scheint seinerseits nicht gewillt zu sein, der neuen Linie das Feld zu räumen. Den Vorteil aus diesem Dilemma an der Führungsspitze der Demokraten wird nur Richard Nixon ziehen können.

[Robert Francis Kennedy (1925-68), der jüngere Bruder von John F. Kennedy, diente in dessen Kabinett als US Attorney General von 1961-64 und war US Senator von New York 1965-68. Als Kandidat im Wahlkampt um die US-Präsidentschaft gewann Robert Kennedy eine Reihe von Vorwahlen der Demokraten. Nachdem er am 4. Juni die wichtige Primary von Kalifornien gewonnen hatte, wurde er nach der Siegesfeier in Los Angeles das Opfer eines Mordanschlages, an dessen Folgen er am 6. Juni 1968 starb. Siehe unten Aufzeichnung vom 9. Juni 1968.]

South Bend, 21. März 1968

Rockefeller scheidet aus

Die heutige Verlautbarung von Governor Nelson Rockefeller, nicht für das Amt des Präsidenten zu kandidieren, hat einige Überraschung ausgelöst. Die Republikaner haben damit die Einheit ihrer Partei durchgesetzt und faktisch Richard Nixon bereits jetzt als ihren inoffiziellen Kandidaten aufgestellt.

South Bend, 31. März 1968

8 Uhr abends

Der Verzicht von Präsident Johnson

In seiner heutigen Fernsehansprache an die amerikanische Nation machte Präsident Johnson die völlig unerwartete Mitteilung, dass er nicht für das Amt des Präsidenten kandidieren oder eine Nominierung durch die Demokratische Partei annehmen werde. Dieser Schritt Johnsons erfolgte, um nicht die Spaltung seiner Partei weiter auf die Spitze zu treiben und die Verwirrung im Lande noch zu verstärken. Gleichzeitig teilte er mit, dass er angeordnet habe, die Bombardierung von Nordvietnam einzustellen, um den Krieg zu entschärfen und Friedensverhandlungen vorzubereiten. Johnson leistete einen persönlichen Verzicht auf eine mögliche zweite Amtsperiode. Er hat seine eigenen Ambitionen dem gemeinsamen Staatswohl gegenüber hintangestellt. Es war die Rede eines grossen, wenn auch gebrochenen Menschen, dessen Tragik vom Gesicht abzulesen war.

[Lyndon Baines Johnson (1908-73), US Senator von Texas, 1949-61; US Vice President, 1961-63; US President, 1963-69. Johnson war herzleidend, er starb am 22. Jänner 1973 auf seiner Ranch bei Johnson City in Texas. Die Tragik von Lyndon B. Johnson bestand darin, dass er die Armut im eigenen Land bekämpfen und die notwendigen Sozialreformen durchführen wollte, dagegen aber immer tiefer in den Dschungelkrieg in Südostasien hineingezogen wurde, aus dem er keinen Ausweg fand.]


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