Die Worte des Patriarchen
Am heutigen Pfingstsonntag hielt das Oberhaupt der orthodoxen Ostkirche, Seine Seligkeit Maximos V. Hakim, Patriarch von Antiochia, Alexandrien und Jerusalem, beim feierlichen Gottesdienst zum Abschluss des akademischen Jahres in Notre Dame die Predigt. Er sprach zu den graduierenden Studenten, deren Eltern und Verwandten. Der Patriarch, der auf dem Wege von Beirut hierher in Rom, Paris und Brüssel Station gemacht hatte, stand noch unter dem Eindruck der jüngsten Streiks und Unruhen. Er sagte, dass diese einem Bürgerkrieg gleich-kämen. In die Hände der Vereinigten Staaten, betonte der Patriarch, sei eine überaus grosse Verantwortung für die Zukunft der Welt gelegt, nicht nur allein auf Grund ihrer Weltmacht-stellung, sondern auch ihrer geistigen und moralischen Führungskräfte wegen. In unserem technologischen Zeitalter seien die USA zum Vorbild für zahlreiche Nationen geworden. Dem Beispiel der USA werden in der Zukunft viele Länder folgen. Dass die Begegnung mit dieser ehrwürdigen Persönlichkeit auf dem Boden einer katholischen Universität möglich geworden ist, gibt Zeugnis von der Auswirkung des 2. Vatikanischen Konzils.
South Bend, 2. Juni 1968
Die Fernsehdebatte Kennedy McCarthy
Vor der Primary in Kalifornien haben sich gestern Abend Robert Kennedy und Eugene McCarthy in Los Angeles vor den Bildschirmen des nationalen Fernsehens zum erstenmal ein Rededuell geliefert. Beide Kandidaten waren sich in den meisten Punkten einig, indem sie eine Alternative zur Johnson Administration und einen Ausweg aus dem Krieg in Vietnam suchten. McCarthy gab sich kühl und behandelte die emotionsgeladenen Probleme mit betonter Sachlichkeit. Es liess sich nicht leugnen, dass sich die Demokratische Partei in diesem Wahlkampf in drei Lager aufgespalten hat: Das erste ist das Kennedy Lager, das zweite das von McCarthy, und das dritte Lager gruppiert sich um Vice President Hubert Humphrey, der als offizieller Kandidat der Partei immer mehr an Zuspruch gewinnt. Diese Aufsplitterung kann nur den Republikanern zugute kommen, die mit Richard Nixon eine seltene Solidarität beweisen. Die Regierungspartei macht einen verbrauchten, aufgezehrten Eindruck, sodass der Umschwung zugunsten der Republikaner immer wahrscheinlicher wird.
South Bend, [9.] Juni 1968
Das Attentat auf Robert Kennedy
In den ersten Morgenstunden des 5. Juni, kurz nachdem er seinen Sieg in der Vorwahl von Kalifornien gefeiert hatte, wurde Senator Robert F. Kennedy im Ambassador Hotel in Los Angeles von einem jordanischen Nationalisten angeschossen und so schwer getroffen, dass er 25 Stunden nach dem Attentat den schweren Verletzungen erlag. Kaum eine andere Nachricht hat die Weltöffentlichkeit seit der Ermordung von Präsident John F. Kennedy im November 1963 ärger erschüttert wie die, dass seinen Bruder Robert Kennedy das gleiche Schicksal traf. Amerika, das noch unter dem Schock der Ermordung von Martin Luther King stand, war von dem neuerlichen brutalen politischen Mord wie gelähmt. Bestürzung, Scham und Schrecken machten sich breit, eine echte Erschütterung und Trauer erfasste alle Kreise der Bevölkerung. Drei Tage lang konnte die amerikanische Bevölkerung die Tragödie der Familie Kennedy am Bildschirm miterleben. Beklemmend und herzzerreissend waren die Bilder um die unmittelbare Familie, bewundernswert der Mut, mit dem sie diesen neuen Schicksalsschlag auf sich nahm. Wellen der Sympathie schlugen ihr aus allen Teilen der Bevölkerung enteggen. Trotz sengender Hitze im Steinermeer von New York liessen es sich Hunderttausende nicht nehmen, sich stundenlang anzustellen, um Robert Kennedy in der St. Patrick's Cathedral die letzte Ehre zu erweisen. Eine unüberschaubare Menschenmenge säumte den Trauerzug von New York nach Washington. Robert Kennedy wurde auf dem Arlington National Cemetery neben seinem Bruder John beigesetzt.
South Bend, [10.] Juni 1968
Gedanken zur Trauer um Robert Kennedy
Robert Kennedy hatte es wie kaum ein zweiter zeitgenössische amerikanische Politker verstanden, eine Brücke zwischen Weiss und Schwarz, Reich und Arm zu schlagen. Die Minderheiten haben mit ihm ihren besten Anwalt verloren. In die Trauer mischten sich Gefühle der Mitschuld, Stimmen der nationalen Selbstanklage wurden laut, dass die überhandnehmende Gewalttätigkeit zu diesem brutalen Akt führen konnte. Die Selbstanklage äusserte sich auch dahingehend, dass Amerika a sick society, eine kranke Gesellschaft sei. In solch tragischen Augenblicken wird Amerika an sich selbst und die Welt an Amerika irre.
Ohne Zweifel wäre Robert Kennedy bei den Vorwahlen als stärkster Kandidat der Demokraten hervorgegangen und hätte auch Chancen gehabt, die Präsidentschaftswahl im November zu gewinnen. Sein tragischer Tod hat das Problem der violence, der Gewalttätigkeit in den Vordergrund der nationalen Debatte gestellt. Spontan haben Tausende freiwillig ihre Schusswaffen bei der Polizei abgegeben. Das seit langem diskutierte gun control bill, Waffenschutzgesetz wird im Kongress wieder vordringlich behandelt werden. Zumindest sollten Schusswaffen nicht mehr durch die Post frei ins Haus geliefert werden können. Die Gewalttätigkeit ist ein ernstes Problem, das in der amerikanischen Gesellschaft stärker aufscheint als sonst wo in der Welt. Trotzdem kann nicht gesagt werden, dass Amerika eine kranke Gesellschaft sei.
In dem Nachruf auf Robert Kennedy, den sein Bruder Edward vor dem Requiem in der St. Patrick's Cathedral hielt, wurde der Verlust, den die Familie Kennedy und Amerika erlitten haben, besonders schmerzlich empfunden.
Durch den Tod von John Fitzgerald und Robert Francis Kennedy hat die Welt eine Vision verloren, die es leichter erschienen liess, die Zukunft zu bewältigen.
[Noch im Herbst des Vorjahres wurde meine Gastprofessur an der University of Notre Dame um ein Jahr verlängert. Und während des Frühjahrssemesters wurde mir die Leitung des Notre Dame Überseestudienprogramms in Innsbruck für den Zweijahresturnus 1969-71 angeboten. Meine Familie und ich blieben über den Sommer in South Bend und planten für August eine Fahrt mit dem Auto nach Colorado.]
South Bend, 26. Juni 1968
Der unweigerliche Sog des Englischen
Schon nach einem mehrmonatigen Aufenthalt in den Vereinigten Staaten spürt man unweigerlich den Sog des Englischen. Selbst als geübte Linguisten spürten meine Frau und ich eine Verlangsamung in der genauen Ausdrucksfähigkeit im Deutschen. Es stellen sich Lehnübersetzungen ein, und man vergisst gebräuchliche Worte und Redewendungen. Es fällt einem leichter, die Dinge auf Englisch zu nennen, für die man vergebens nach einem deutschen Ausdruck sucht. Die Kinder lernen in der Schule rasch Englisch und unterhalten sich miteinander auf Englisch, obwohl zu Hause deutsch gesprochen wird. Erfahrungsgemäss geht die Muttersprache in der zweiten Generation nach der Einwanderung verloren. Die dritte Generation lernt die Sprache der Grosseltern wieder im Fremdsprachenunterricht im College. Die Zweisprachigkeit ist nur durch ständiges Üben, Lektüre, Sprachkontakt und fallweisen Aufenthalt in der alten Heimat zu erhalten.