University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 7. Mai 1968

Robert Kennedy bei der Vorwahl in Indiana

Die heutige Primary in Indiana hat insoferne die Aufmerksamkeit der Nation auf sich gezogen, da sich zum erstenmal Eugene McCarthy und Robert Kennedy im offenen Wahlkampf gegenüberstanden. Robert Kennedy gewann die Wahl mit 42% der demokratischen Stimmen gegenüber 31% von Roger D. Branigin, dem Governor von Indiana, der für Vice President Hubert Humphrey eingetreten war, und 27% von McCarthy. Kennedy sah in der Indiana Primary einen entscheidenden Wertmesser für den Erfolg seines Wahlkampfes um die Präsidentschaft. Er hatte sich dafür mit allen Mitteln, die ihm zur Verfügung standen, eingesetzt, keine Mühe gescheut und die Strapazen auf sich genommen, welche die Fahrten kreuz und quer durch Indiana von ihm abverlangten. Von dem Namen Kennedy ging eine magische Anziehungskraft aus. Wo immer er auftrat, sammelte sich eine Menschenmenge an, unter die er sich furchtlos Hände schüttelnd mischte. Robert Kennedy brachte in diesem Wahlkampf seine eigene Persönlichkeit zum Durchbruch. Den stärksten Stimmenanteil, oft bis zu 60%, gewann er in den Industriezentren, grösseren Städten und unter den farbigen Wählern, die geschlossen hinter ihm standen. Die Akademiker und College-Studenten teilten sich zwischen Kennedy und McCarthy. In der McCarthy Campaign fiel die starke Beteiligung freiwilliger Helfer aus den Schulen und Colleges auf, die in ihm den Kandidaten sahen, der als erster den Mut hatte, gegen Johnson und den Krieg in Vietnam aufzutreten.

Robert Kennedy hatte seinen Wahlkampf in Indiana am 4. April in South Bend mit einer Wahlkundgebung am Notre Dame Campus begonnen. Schon bei seiner Ankunft zu Mittag auf dem St. Joseph County Airport hatte sich eine grosse Menge von Anhängern versammelt. Die Wagenkolonne fuhr durch die Stadt nach Notre Dame, wo für ein Uhr im Stepan Center eine Wahlkundgebung angesetz war. Auf der Fahrt durch den Notre Dame Campus wären meine Frau und ich bald mit dem Wagen von Robert Kennedy zusammengestossen. Wir fuhren langsam den gewundenen Weg am Ufer des kleinen St. Joseph's Lake entlang, als plötzlich in einer Kurve der Wagen von Robert Kennedy uns entgegenkam. Ethel Kennedy, die hinter ihrem Gatten im Wagen sass, zuckte unwillkürlich zusammen, auch uns fuhr der Schrecken in die Glieder, während Robert Kennedy keine Miene verzog. Er stand bei leichtem Schneetreiben aufrecht im offenen Wagen und zeigte nur sein typisch freundliches Lächeln. Kennedy befand sich auf dem Weg zum Stepan Center, wo bereits an die 5.000 Studenten warteten und ihm einen stürmischen Empfang bereiteten. Das war der Auftakt zu einer fulminanten Wahlwerbung in Indiana, aus der Robert Kennedy als glaubwürdiger Kandidat für die amerikanische Präsidentschaft hervorging.

[Das Universitätsarchiv von Notre Dame enthält umfangreiche Aufzeichnungen und Presseberichte zu dieser Wahlkundgebung, siehe UDIS Box 97, File 18, 1968-73.]

South Bend, [Anfang] Mai 1968

Der Generalstreik in Frankreich

Die Ironie des politischen Geschicks von Charles de Gaulle wollte es, dass ihm gerade in dem Augenblick, als er bei seinem Staatsbesuch in Rumänien triumphal empfangen wurde, die Kommunisten im eigenen Land in den Rücken fielen. Ausgelöst durch die Studentenunruhen an der Sorbonne wurde Frankreich in die schwerste Streikkrise seit Ende des Zweiten Weltkrieges gestürzt. Nachdem die Gewerkschaften den Generalstreik ausgerufen hatten, traten an die 10 Millionen Arbeitnehmer in den Ausstand. Dadurch wurde das gesamte öffentliche Leben faktisch lahmgelegt. Im Extremfall kam es auch zur Besetzung von Fabriken. Diese radikale Frontstellung der gesamten französischen Arbeiterschaft gegen das Regime mag wohl das Ende des Gaullismus bedeuten, auch wenn die Krise vorübergehend abgewandt wird. Das Dilemma der gaullistischen Politik hätte nicht drastischer zum Ausdruck kommen können. De Gaulle hatte Europa als zugkräftiges Schlagwort benutzt, um im nationalen Interesse eine Grossmachtpolitik zu betreiben, für die jegliche Voraussetzung fehlte.

[Charles de Gaulle (1890-1970), General, erster Präsident der 5. Republik, 1959-69. Nach dem Referendum vom 27. April 1969, das gegen ihn ausfiel, trat er zurück. Charles de Gaulle starb am 9. November 1970.]

South Bend, 10. Mai 1968

Die Studentenunruhen in Europa

Die Studentenunruhen an der Sorbonne waren keine Demonstrationen mehr, sondern eine offene Revolution, die von Frankreich ausgehend ganz Europa erfasste. Das höhere europäische Bildungswesen wurde in seinen Grundfesten erschüttert. Bedauerlicherweise wurde der begründete Ruf nach Reformen von Agitatoren ausgenützt und dadurch in ein universitäts-fremdes Geleise abgezweigt. Auch die unselige Verquickung der Studentenorganisationen mit den politischen Parteien rächte sich bitter, denn jeder Aufmarsch von Studenten konnte auf diese Weise ausgenützt und zur Staatskrise werden. Was in diesem Frühjahr an den Universitäten von Paris, Rom, Turin, Mailand, Brüssel, Wien, London und Stockholm geschah, war unerhört. Es waren die schwersten Studentenunruhen, welch die europäische Universitätsgeschichte bisher kannte. Es gehörte zur allgemeinen Taktik, Universitätsgebäude zu besetzen und wie Festungen zu halten. Es war eine Revolte gegen jede Art von staatlicher Ordnung, daher auch schwer unter Kontrolle zu bringen. Der Vergleich zu den Studentenunruhen in Amerika liegt auf der Hand, obwohl die Unruhen in Europa von ganz anderen Voraussetzungen ausgehen.

Studentenunruhen in Amerika

Von Berkeley in Kalifornien ausgehend, sind die Studentenunruhen in Amerika zum täglichen Ereignis geworden. Im Unterschied zu Europa richten sich diese aber nicht so sehr gegen überfüllte Hörsäle, die Form des Unterrichts und die Studieneinrichtungen als gegen den Krieg in Vietnam und die Rekrutierung. Es ist zur Routine geworden, dass radikale Studentungruppen die Verwaltungsgebäude von Colleges und Universitäten besetzen und dadurch die ganze Institution zum Stillstand bringen. Wenn dann der Präsident die Polizei zu Hilfe ruft, weil die eigenen Sicherheitskräfte nicht mehr Herr der Lage werden können, kommt es unweigerlich zu gewalttätigen Auseinandersetzungen. Die spektakulärsten Ausschreitungen ereigneten sich Ende April an der Columbia University in New York, wo eine Gruppe radikaler Studenten die Kanzlei des Präsidenten besetzt hielt und alles zerstörte, was ihr in die Hände kam.


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