University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Innsbruck, 2. Jänner 1970

Die ungelöste deutsche Frage

Obwohl das Ausland nie rechtes Vertrauen in die deutsche Wiedervereinigung gefasst hatte, verlor diese nach der Invasion der Tschechoslowakei gänzlich an Glaubwürdigkeit.

15. Jänner 1970

Das Dilemma der deutschen Situation ist in diesen Tagen wieder deutlich zu Tage getreten: Einerseits wird eingestanden, dass keine Aussicht auf eine Wiedervereinigung besteht, andererseits aber auch hartnäckig die völkerrechtliche Anerkennung der DDR verwehrt. Damit ist die Verständigungsbereitschsaft zwischen den beiden deutschen Staaten, bzw. die Lösung der deutschen Frage in unabsehbare Ferne gerückt.

Innsbruck, 20. Jänner 1970

Das verrückte Amerika

Schon nach wenigen Monaten Abwesenheit von den Vereinigten Staaten wird die Vorstellung von Amerika zum Zerrbild. Der Einfluss der Massenmedien trägt dazu massgeblich bei. Schlägt man eine beliebige Zeitung auf, so wird man immer wieder auf eine Rubrik über das verrückte Amerika stossen. Überschriften in dicken Lettern lauten u.a.: “Amerikas Ghettos sind eine Brutstätte für revolutionäre Ideen,” “amerikanischer Milliardär will das ganze Schloss Liechtenstein kaufen,” “neun Millionen Amerikanerinnen nehmen die Pille,” “amerikanische Nonne fährt mit Motorroller durch die langen Gänge einer High School von Chicago,” etc. Wenn man bedenkt, dass Meldungen dieser Art tagtäglich durch Presse, Rundfunkt und Fernsehen verbreitet werden, ist es nicht zu verwundern, dass im Europäer ein Bild von Amerika entsteht, das an Groteskem, Verrücktheit und Abnormalitäten kaum zu übertreffen ist. Es geht das Bewusstsein verloren, dass in Amerika das Leben auch seinen normalen, gewöhnlichen Gang geht.

Innsbruck, 24. Jänner 1970

Der Antiamerikanismus

Der Antiamerikanismus ist eine weltweite Erscheinung, die selbst auf die besten Freunde Amerikas zutrifft. Zum Teil hat sich dieses Phänomen unserer Zeit von Amerika selbst losge-löst. Im Grunde genommen handelt es sich dabei um die Auflehnung gegen die moderne technische Welt, gegen die Konsumgesellschaft und Konformität im weiteren Sinne, wofür Amerika zum tragenden Symbol geworden ist. Überall in der Welt, wo eine Autobahn gebaut, ein neuer Flughafen in Betrieb genommen oder ein Super Market eröffnet wird, entstehen zwangsweise Lebensformen, die zuerst in Amerika entstanden sind und teilweise von dort übernommen wurden. Der Antiamerikanismus hat vielseitige historische, politische und kulturelle Wurzeln, aber eine wesentliche Ursache dafür sind die Phobien vor der unaufhaltsam fortschreitenden Technisierung des modernen Lebens.

Innsbruck, [Ende Jänner] 1970

Nixons Botschaft an die Welt

Ohne Zweifel ist der von Präsident Nixon ausgearbeitete, 19 Seiten umfassende Bericht an den amerikanischen Kongress (State of the Union Address), das seit Jahren bedeutungsvollste aussenpolitische Dokument, das vom Weissen Haus der Weltöffenltichkeit zur Verfügung gestellt wurde. Darin wird die sogenannte “Nixon Doctrine” formuliert:

1. Die Verlagerung des Schwergewichts der amerikanischen Aussenpolitik vom asiatischen Raum nach Europa.

2. Die Einleitung einer nüchternen, pragmatischen Aussenpolitik, die dem nationalen Selbstinteresse dient.

3. Ausgleich mit der Sowjetunion im Hinblick auf die Begrenzung strategischer Waffen.

4. Absage an die amerikanische “predominance” oder Vorherrschaft, dagegen Aufruf an die Verbündeten in Europa zur Partnerschaft.

Allerdings ist die Bereitschaft zur Partnerschaft in Europa noch nicht durchgedrungen, da die Verteidigung von Europa völlig von den Vereinigten Staaten abhängt.


<< Lanzinger >>