University of Notre Dame
Archives   


The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


[Anfang Mai] 1973

Eine Flut von Prozessen

Der Watergate Skandal hat eine Flut von öffentlichen Anklagen und “hearings” ausgelöst, welche die öffentliche Aufmerksamkeit so sehr in Anspruch nehmen, dass alle anderen Probleme in den Hintergrund getreten sind. So wurde der Besuch von Bundeskanzler Willy Brandt in Washington kaum beachtet. Welch eine Ironie! Gerade als die Gespräche über die Sicherheitskonferenz in Europa und zu einer Reihe weiterer wesentlicher Themen in Fluss hätten kommen sollen, wird der wichtigste Gesprächspartner durch die Folgen eines Einbruchversuches lahmgelegt.

17. Mai 1973

Watergate Senate Hearings

Heute wurde das öffentliche Verhör zur Watergate Affäre vor dem Senatssonderausschuss eröffnet. Senator Sam Ervin aus North Carolina, der den Vorsitz des Select Committee on Presidential Campaign Activities führt, hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Wahrheit über Watergate herauszufinden und sie schonungslos der amerikanischen Öffentlichkeit aufzuzeigen. Es wird ohne Beschönigung hart gefragt. Da die “hearings” im Fernsehen übertragen werden, gewinnt die Öffentlichkeit Einblick, wie in der unmittelbaren Umgebung des Präsidenten von seinen engsten Mitarbeitern ein Einbruch geplant, Riesensummen an Wahlkampfbeiträgen verschoben wurden, und wie ein eklatanter Rechtsbruch hätte verschleiert werden sollen. Im Mittelpunkt der trüben Angelegenheit steht aber die Frage, inwieweit der Präsident selbst daran beteiligt war.

[Sam(uel) J. Ervin, Jr., wurde 1896 in Morganton, North Carolina, geboren; von Beruf Jurist mit jahrzehntelanger Tätigkeit im Richteramt; US Senator, Demokrat von North Carolina, 1954-75. Ervin war als “country lawyer,” wie er sich selbst zu nennen pflegte, durch seine volkstümliche Art sehr beliebt geworden; als Chairman des Senate Select Committee on Presidential Campaign Activities zur Untersuchung der Watergate Affäre wurde er 1973 in ganz Amerika zur prominenten Persönlichkeit.]

24. Mai 1973

Die menschliche Tragödie

Der Watergate Skandal hat eine Unzahl menschlicher Schicksale, Existenzen, Karrieren verschlungen und zu persönlichen Tragödien geführt. Menschen, die blindlings Auftraggebern folgten, wurden unschuldig-schuldig in eine Machtintrige hineingezogen. Dahinter stehen die Versuchungen der politischen Macht, Lüge und Verleumdung. Alle Stufen der Verzweiflung, Ohnmacht und Ausweglosigkeit werden hierbei in einem Loyalitätskonflikt durchgestanden.

South Bend, [Ende Mai] 1973

Benzinknappheit

Erst als mir der Tankwart an der Standard Service Station eröffnete: “Sorry, ten gallons only!”-kam mir zum Bewusstsein, dass die Bezinkrise in Amerika ernst gemeint war. Da fiel mir auch auf, dass immer mehr kleinere Tankstellen schliessen müssen, weil sie kein Benzin mehr haben. Die Benzinknappheit wurde zum erstenmal über dieses Memorial Day Weekend akut. Die Tatsache, dass Amerika selbst nicht mehr genug Rohöl zur Verfügung hat, muss erst in seiner ganzen Tragweite erfasst werden. Sie trifft das Land ins Mark, denn das amerikanische Leben wird vom Motor beherrscht. Die Wirtschaft wie das private Leben sind vom Auto abhängig. Auch psychologisch wird die Energie- und Benzinknappheit ihre Auswirkung haben. Amerika ist seit jeher gewohnt gewesen, aus dem Vollen zu schöpfen, sind doch Rohstoffe in einem schier unbegrenzten Ausmass vorhanden gewesen. Mit 6% der Erdbevölkerung verbraucht Amerika rund 40% des Energiebedarfs der Welt im Jahr. Die Umstellung auf Konservierung, d.h. spar-samer mit den materiellen Gütern umzugehen, fällt den Amerikanern nicht leicht.


<< Lanzinger >>