University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 6. Oktober 1973

Wieder Krieg im Nahen Osten

Als ich heute auf der Fahrt nach Hause im Auto das Radio einschaltete, kam um 11 Uhr vormittags plötzlich die Nachricht durch, dass im Nahen Osten wieder der Krieg ausgebrochen ist. Es war im Augenblick klar, dass dies die schwersten Kampfhandlungen seit dem Sechs-Tage-Krieg vom Juni 1967 sind, doch glaubte zunächst niemand an einen “full-out war,” einen allumfassenden Krieg. Erst als die divergierenden Frontberichte vom Vormarsch ägyptischer Truppen auf der linken Seite des Sueskanals und syrischer Einheiten auf den Golan Höhen durchgegeben wurden, blieb kein Zweifel mehr offen, dass es sich um einen totalen Krieg handelt. Der Angriff erfolgte schamlos am Yom Kippur, am Tag der Sühne, dem höchsten jüdischen Feiertag. Die Fronten haben sich rasch versteift, es wird auf allen Seiten heftig gekämpft.

South Bend, 10. Oktober 1973

Der Rücktritt Agnews

Heute gab US-Vizepräsident Spiro T. Agnew seinen Rücktritt bekannt. In einem verkürzten Gerichtsverfahren in Baltimore gab Agnew zu, dass er als Gouverneur von Maryland Bestechungsgelder entgegengenommen und sich der Steuerhinterziehung schuldig gemacht hat. Die Gerüchte der letzten Monate, dass Agnew in einer Bestechungsaffäre verwickelt sei, wurden damit bestätigt.

South Bend, 12. Oktober 1973

Die Wahl des Nachfolgers

In einer bewegenden feierlichen Szene, was in Washington in letzter Zeit selten geworden ist, gab Präsident Nixon seinen Nominierungsvorschlag für den vakant gewordenen Posten des Vizepräsidenten bekannt. Das Rätselraten um die Nachfolge Agnews hatte einen breiten Spielraum möglicher Kandidaten umfasst. Als aber Nixon erwähnte, dass seine Wahl auf einen Mann gefallen sei, die seit 25 Jahren im Kongress gedient habe, war offenkundig, dass es sich nur um Congressman Gerald Ford aus Michigan handeln konnte. Die Beifallskundgebung für Ford war spontan, wird er doch von beiden Parteien im Kongress gleichermassen hoch geschätzt. Man sieht in ihm die geeignete Persönlichkeit, die eine neue Vertrauensbasis zwischen dem Weissen Haus und dem Kongress herstellen kann.

[Gerald R. Ford wurde am 14. Juli 1913 in Omaha, Nebraska, geboren, wuchs aber in Grand Rapids, Michigan, auf; von Beruf Jurist und Politiker; republikanischer Abgeordneter im Kongress vom 5. Distrikt in Michigan, 1948-73; er hatte im Haus die Aussenpolitik von Nixon unterstützt. Gerald Ford wurde am 6. Dezember 1973 als Vice President angelobt und war nach dem Rücktritt Nixons US President vom August 1974 bis Jänner 1977.]

South Bend, 18. Oktober 1973

Die Halbinsel Sinai

Auf der Halbinsel Sinai tobt derzeit die grösste Materialschlacht seit dem 2. Weltkrieg. Rund 2.000 Panzer haben sich verbissen ineinander verkeilt. Der Nahe Osten ist wieder einmal zum heissen Exerzierfeld geworden, auf dem die neuesten Waffentypen von West und Ost ausprobiert werden. Dieser Krieg muss ein Ende finden. Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen hat dringend zur Feuereinstellung aufgerufen.

South Bend, 20. Oktober 1973

Die Tonbänder

Wie konnte ein so harmloses technisches Hilfsmittel wie ein Tonband, das meistens nur im Sprachlabor beim Fremdsprachenunterricht verwendet wird, Ursache einer Staatskrise werden. Präsident Nixon machte den Kompromissvorschlag, dem Gericht eine Zusammenfassung der Tonbänder zu überreichen. Nachdem Archibald Cox den Kompromissvorschlag als unzureichend abgelehnt hatte, beauftragte Nixon Attorney General Elliot L. Richardson, Cox unmittelbar zu entlassen. Da Richardson aus Gründen der Verfassungswidrigkeit Bedenken hatte, diesen Auftrag auszuführen, trat er als Justizminister zurück. Erst Robert Bork fand sich als Acting Attorney General bereit, die Entlassung von Cox auszusprechen. Die Entlassung des Independent Special Prosecutor löste einen Sturm der Entrüstung aus. Das Amt des Präsidenten stürzte damit in eine Verfassungskrise, wie sie in der Republik noch nie vorgekommen war. Wie wird der Kongress darauf reagieren? Wird es zum gefürchteten “impeachment,” zum Amtsenthebungs-verfahren kommen? Man fragt sich, was wohl auf diesen Tonbändern stehen mag, dass sich Nixon mit aller ihm zur Verfügung stehenden Macht wehrt, sie herauszugeben.

South Bend, 25. Oktober 1973

Der Wink mit dem Zaunpfahl

Secretary of State Henry Kissinger gab in unmissverständlicher Sprache zu verstehen, dass die Gefahr eines Atomkrieges bestehe, wenn die Sowjetunion ihr Vorhaben, einseitig Truppen im Nahen Osten einzusetzten, verwirkliche. Durch diesen Wink mit dem Zaunpfahl wurde wieder das Gespenst einer atomaren Konfrontation der beiden Supermächte heraufbeschworen und die mit Mühe erreichte Détente bis zur Zereissprobe belastet. Der Ernst der Situation wurde noch dadurch unterstrichen, dass Präsident Nixon in wenigen Stunden die globale amerikanische Streitmacht in Alarmbereitschaft versetzte. In dieser höchst prekären Lage erwiesen sich die Vereinten Nationen nicht nur als eine nützliche, sondern geradezu lebensrettende Institution. Daran sollte man sich erinnern, wenn die Vereinten Nationen wieder zur Zielscheibe der Kritik werden. Die Entsendung eines Truppenkontingents durch den Sicherheitsrat zur Aufrechterhaltung des Waffenstillstandes bot sich als einziger Ausweg aus dem Dilemma an.


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