Neuwahlen in Italien
Die für Ende Juni angesetzten Neuwahlen in Italien haben das grösste Interesse hervorgerufen, da zu befürchten steht, dass die Kommunistische Partei an die Regierung kommt. Es stellt sich für den Westen die Frage, ob man unter den Umständen, falls die Kommunisten in der Regierung sein sollten, Italien noch Geheimnisse der NATO anvertrauen kann, oder es nicht klüger wäre, das Hauptquartier der 6. Flotte von Neapel woanders hinzuverlegen. Wie wird Westeuropa auf einen eventuell bevorstehenden Sieg der Kommunisten in Italien reagieren? Und wie werden sich die Vereinigten Staaten dazu verhalten?
Die Gefahr des Eurokommunismus
Das mögliche Versagen der Sozialdemokratie in Italien stellt den Westen vor eine ernste Gewissensfrage. Soll der Westen den von Enrico Berlinguer propagierten, in den Schafspelz demokratischer Spielregeln gekleideten italienischen Kommunismus akzeptieren? Die Form des Eurokommunismus in Italien könnte Schule machen und sich auf andere Länder ausdehnen. Darin ist eine eminente Gefahr zu sehen.
South Bend, 9./10. Juni 1976
Carter steht an der Spitze der Demokraten
Die primaries vom 8. Juni haben Jimmy Carter den letzten entscheidenden Durchbruch gebracht. Nachdem er die Vorwahlen von Ohio und New Jersey gewonnen hatte, brach der Widerstand gegen ihn zusammen. Sowohl Senator Hubert Humphrey von Minnesota als auch Governor George Wallace von Alabama haben nun bekanntgegeben, dass sie sich nicht mehr um die Nominierung der Partei bemühen werden, und sagten ihre Unterstützung für Jimmy Carter zu. Mayor Richard Daley von Chicago sagte ebenso seine Unterstützung zu. Die Nominierung von Jimmy Carter als Kandidaten der Demokratischen Partei ist damit so gut wie gesichert.
Es spricht für die Stärke der amerikanischen Demokratie, dass eine so radikale politische Kraft, wie sie George Wallace darstellte, nicht zur Aufsplitterung führte, sondern innerhalb der Demokratischen Partei wieder aufgesaugt werden konnte, und nun ebenso geschlossen hinter Carter steht.
South Bend, 15. Juni 1976
Vor den italienischen Wahlen
Amerika zeigt sich über die kommenden italienischen Wahlen äusserst besorgt. Wenn es nicht möglich sein sollte, Italien vor dem Kommunismus zu schützen, wie sollte dann der übrige Westen geschützt werden. Die Organisation Amerincans for a Democratic Italy hat eine Briefkampagne gestartet. Rund 200.000 Amerikaner italienischer Herkunft haben ihren Verwandten in Italien geschrieben, nicht kommunistisch zu wählen. Dies geschah angeblich aus Angst davor, dass Italien volksdemokratische Züge annehmen könnte. Es ist jedenfalls ein Zeichen dafür, mit welcher Besorgnis den bevorstehenden Wahlen entgegengesehen wird.
23. Juni 1976
Nach der Wahl
In Italien wurde am 20. und 21. Juni ein neues Parlament gewählt. Diese Wahlen wurden vielfach als die wichtigsten Parlamentswahlen in Europa seit 30 Jahren gesehen. Das Ergebnis ist weder ermutigend noch enttäuschend. Die Kommunisten haben nicht den Wahlsieg errungen, den sie sich erhofften. Die Democrazia Christiana konnte sich halten. Ob den Kommunisten in der neuen Regierung ein Mitspracherecht eingeräumt wird, bleibt abzuwarten. Viele atmen auf. Aber auch wenn die Kommunisten die Wahl gewonnen hätten, hätte Amerika das Ergebnis einer demokratisch durchgeführten Wahl respektiert.
Cincinnati, [Ende Juni] 1976
Über dem Rhein
In Cincinnati heisst ein alter Stadtteil, der den Ohio River überblickt, Over the Rhine. Es war das Wohnviertel deutscher Einwanderer im 19. Jht., die in Wehmut an die alte Heimat glaubten, dass sie hier ein Stück vom Rhein wiedergefunden hätten. Bis zu einem gewissen Grad kommt die Landschaft dieser Illusion entgegen. Doch die deutsche Bevölkerung ist längst ausgezogen, die alten Giebelhäuser sind verfallen, und das ganze Viertel zu einem der ärgsten Slums abgesunken. Da ich selbst von dem Namen angelockt, angenommen habe, eine Rheinidylle am Ohio zu finden, ist die Enttäuschung doppelt gross. Cincinnati ist erbarmungslos von der neuen Entwicklung überrannt worden. Die einstmalig blühende Metropole am Ohio, die von der Mississippi-Schifffahrt lebte und Anstoss für die Entwicklung der amerikanischen Lebensmittelindustrie gegeben hat, ist weitgehend verfallen. Daraus lässt sich die Lehre ziehen: Was in Amerika seine Lebensfunktion verloren hat, geht mehr als anderswo schonungslos zugrunde.