Heute wurde Jimmy Carter als 39. Präsident der Vereinigten Staaten angelobt. Alle Anzeichen sprechen dafür, dass Carter ein populärer Präsident wird. Seine Inauguration gestaltete sich zu einem grossen Volksfest in Washington. Carter gibt Amerika wieder das Gefühl eines vorsichtigen Optimismus und den Idealismus zurück.
[Jimmy (James Earl) Carter, Jr., wurde 1924 in Plains, Georgia, geboren; von Beruf Farmer, Techniker und Politiker. Er war Governor of Georgia, 1971-75 und US Präsident, 1977-81. Carter war nach seiner Präsidentschaft international häufig als Friedensvermittler tätig und hat sich für die Menschenrechte eingesetzt. Er widmete sich auch einer Reihe von humanitären Organisationen. Carter erhielt neben zahlreichen anderen Auszeichnungen 1987 den Albert Schweitzer Preis für humanitäre Tätigkeit und 1995 den Felix Houphouet-Boigny UNESCO Friedenspreis.]
Innsbruck, [21. Jänner] 1977
Wachsamkeit ist am Platze
Die scheidende Ford Administration kann sich nicht genung tun, Warnungen auszusprechen, dass die Sowjetunion an militärischem Übergewicht gewonnen habe. Ein plötzlicher Vorstoss in Europa sei nicht mehr ausgeschlossen, ja geradezu im langfristigen strategischen Konzept der Sowjetunion geplant. Wie wären sonst die umfassenden Schutzmassnahmen in Russland gegen einen Atomkrieg einerseits und die offensive atomare Aufrüstung andererseits verständlich. Time Magazine hat unverblümt östliche Aufmarschpläne bis zum Rhein veröffentlicht, Ähnliches wurde von französischer Seite bestätigt. Wenn diese Kassandrarufe auch übertrieben sein mögen, so ist erhöhte Wachsamkeit doch am Platze.
Innsbruck, 23. Jänner 1977
Unbewusster Amerikanismus
Ein unbewusster Amerikanismus hat fast alle Bereiche des europäischen Lebens durchdrungen. Dies bezieht sich auf die Lebensgewohnheiten, die Kleidung, Inneneinrichtung, das Fernseh- und Radioprogramm, Industrieartikel, Kinderspielzeuge, Clubs jeder Art, Diskotheken, Einkaufzentren, Werbemethoden, das Auto, Sport usw.
Im europäischen Verhalten zu Amerika besteht ohne Zweifel eine gewisse Paradoxie: Einerseits wird Amerika vehement abgelehnt, andererseits wird aber bewusst und unbewusst nach amerikanischen Vorbildern gelebt. Trotz aller Auflehnung gegen Amerika, besteht doch auch eine verborgene Amerikasehnsucht.