Carter und Europa
Präsident Carter wird in Europa einfach nicht verstanden. Es hat schon lange nicht mehr einen amerikanischen Präsidenten gegeben, der hier auf so wenig Verständnis und Gegenliebe gestossen ist. Der Fehler mag wohl auf beiden Seiten liegen. Carters human rights politics (Menschenrechtspolitik) wird in Europa als Schwärmerei betrachtet. Andererseits bemüht sich Carter um Europa nicht besonders, seine Regierung hat bisher kein vorrangiges Interesse für die europäischen Probleme gezeigt. Dazu kommt noch der schwache Dollar, der es immer schwieriger macht, nach Amerika zu exportieren. Schliesslich hat der Entscheid von Präsident Carter, die Produktion von Neutronenbomben hinauszuschieben, zu Missverständnissen in Europa geführt.
Innsbruck, 12. April 1978
Der Mann ohne Eigenschaften
In einem Fernsehinterview erwähnte gestern Bundeskanzler Dr. Bruno Kreisky, dass er in die Emigration als einziges Buch Robert Musils Der Mann ohne Eigenschaften mitgenommen habe. Das erinnert mich an ein Erlebnis, das ich selbst mit dem Buch hatte. Bei der Übersiedlung nach South Bend 1971 wurde eine Kiste mit Büchern als Frachtgut aufgegeben. Die Kiste hatte den Schiffstransport über den Atlantik und die Grossen Seen nach Chicago gut überstanden. Erst bei der Zustellung ins Haus fiel sie vom Lastwagen auf das Pflaster in der Einfahrt und brach in der Mitte auseinander. Das erste Buch, das mir entgegenkam, war Musils Der Mann ohne Eigenschaften. Ich hatte den dicken Band gewiss nicht aus patriotischen Gründen, sondern aus Interesse für den modernen Roman eingepackt. Erst im Laufe der Zeit ist mir das österreichische Wesen dieses grossen Werkes bewusst geworden. Es ist doch so, dass man erst im Ausland sich ernster mit der eigenen Literatur auseinandersetzt und deren Wert schätzen lernt.