University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 1. Oktober 1981

Sparmassnahmen und Staatsschulden

Mit Beginn des neuen Fiskaljahres treten nun die ersten Sparmassnahmen der Reagan Regierung in Kraft: Drastische Kürzungen bei den Ausgaben für soziale Hilfsmassnahmen; Auflassung einiger Büros der Bundesregierung; dazu eine Steuersenkung von 5% im ersten Jahr. Aber trotz dieser Sparmassnahmen mussten wegen der hohen Ausgaben für die Verteidigung die Staatsschulden auf eine Trillion Dollar begrenzt werden.

2. Oktober 1981

Ein Atomkrieg ist nicht zu führen

Auf seiner heutigen Pressekonferenz im Weissen Haus gab Präsident Reagan bekannt, dass die neuen MX-Missiles gebaut und in den bereits bestehenden Silos für Minuteman-Raketen installiert werden. Diese neue Generation der Interkontinentalraketen, die eine Reichweite von 8.000 Meilen haben und mit 10 Sprengköpfen bestückt sind, beleuchtet die nahezu unvorstellbare Zerstörungskraft des Atomarsenals auf beiden Seiten. Sie unterstreicht umso deutlicher die Erkenntnis, dass ein Atomkrieg nicht zu führen ist, weil er die gegenseitige totale Vernichtung zur Folge haben würde.

6. Oktober 1981

Anwar Sadat (1918-1981)

Zuerst kamen nur sporadische Nachrichten durch, dass heute bei einer Militärparade in Kairo auf Präsident Anwar Sadat ein Attentat versucht worden sei. Sadat habe dabei ohne weitere Folgen nur einen Streifschuss erlitten. Erst um 1:00 p.m. EST wurde die volle Wahrheit dieser grauenhaften Tat bestätigt. Durch die auf die Tribüne abgefeuerte Maschinengewehrsalve wurde Sadat so schwer getroffen, dass er kurz danach im Spital seinen Verletzungen erlegen ist. Mit dem Tod von Anwar Sadat hat Amerika einen verlässlichen Verbündeten im Mittleren Osten verloren. Die ganze Region wird dadurch wieder in Unsicherheit gestürzt.

10. Oktober 1981

Das Begräbnis von Anwar Sadat

Drei frühere amerikanische Präsidenten - Richard Nixon, Gerald Ford und Jimmy Carter - flogen nach Kairo, um am Begräbnis von Anwar Sadat teilzunehmen. Sie waren während ihrer Amtszeit alle engstens mit dem ägyptischen Präsidenten verbunden gewesen und hatten grosses Vertrauen in ihn gesetzt. Ihre Zusammenarbeit gipfelte in das Camp David Abkommen vom September 1978 und den darauffolgenden Friedensvertrag vom März 1979, mit dem Ägypten und Israel ihre Feindschaft überwunden hatten und normale zwischenstaatliche Beziehungen einleiteten. Das Begräbnis von Sadat hat aber mit erschreckender Deutlichkeit gezeigt, wie isoliert Ägypten in der arabischen Welt dasteht, und wie sehr diese untereinander gespalten bleibt. Man muss sich fragen, ob der Geist von Camp David weitergetragen und zu einer umfassenderen Friedenslösung im Mittleren Osten führen kann. Mit dem Tod von Sadat ist ohne Zweifel ein Bruch im Friedensprozess eingetreten. Die Grösse von Anwar Sadat bestand darin, dass er ohne Furcht aufgetreten ist, um eine Versöhnung zwischen Ägypten und Israel herbeizuführen.

11. Oktober 1981

Die Protestwelle

Während Bundeskanzler Helmut Schmidt am Begräbnis von Anwar Sadat in Kairo teilnahm, marschierten gestern an die 250.000 Menschen vor der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn auf, um gegen die Aufstellung der Pershing II-Raketen auf deutschem Boden, wie überhaupt gegen die atomare Aufrüstung der NATO zu protestieren. Dies war der grösste Protestmarsch in der Bundesrepublik seit Ende des 2. Weltkrieges. Während der Protest gegen die atomare Aufrüstung durchaus verständlich ist, so bleibt doch die Zielrichtung dieser Aktion verworren. Liegt darin nicht die Gefahr eines neuen Antiamerikanismus, der zur Neutralisierung und Abhängigkeit von Moskau führen könnte? Wie ist dem steigenden Unmut in Westeuropa zu begegnen? Man kann diese Entwicklung nur mit Sorge verfolgen.

South Bend, 17. Oktober 1981

Yorktown

Heute vor zweihundert Jahren am 17. Oktober 1781 mussten die britischen Truppen unter Lord Cornwallis, die seit Wochen in Yorktown in Virginia eingeschlossen waren, sich der Kontinentalarmee unter George Washington ergeben. Das bedeutete das Ende des Unabhängigkeitskrieges, der damit zu Gunsten der 13 Kolonien ausgegangen war. Entscheidend für den amerikanischen Sieg von Yorktown war die französische Unterstützung gewesen. Comte de Grasse war von der Karibik kommend mit einer grossen Flotte und 20.000 Mann in die Chesapeake Bay eingefahren und hatte Cornwallis die Rückzugsmöglichkeit zur See abgeschnitten.

Zur Erinnerung an das historische Ereignis von Yorktown ist der französische Präsident Francois Mitterand nach Virginia gekommen und hat Präsident Reagan auf dem Kriegsschiff De Grasse, das in der Chesapeake Bay vor Anker liegt, empfangen. Reagan lud seinerseits Mitterand zu einem Empfang im historischen Williamsburg ein. Die Begegnung zwischen Mitterand und Reagan verlief äusserst freundlich. Mitterand schätzt die prekäre Lage Westeuropas durchaus realistisch ein. Er befürwortet Reagans Politik der atomaren Aufrüstung. Somit hat Reagans Politik der Härte im Élysée-Palast eine unerwartete Unterstützung bekommen.

South Bend, 25. Oktober 1981

Und nun in London und Rom

Der Protest in Europa gegen die atomare Aufrüstung will nicht verstummen. Nach Bonn fanden nun Protestmärsche mit grossen Menschenansammlungen in London und Rom statt. Paris und Brüssel werden folgen. Was in Europa den Schock und die Atomhysterie ausgelöst hat, waren einige unvorsichtige Bemerkungen im Kreise der Reagan Regierung, dass ein begrenzter Atomkrieg möglich wäre. Es lag auf der Hand, dass damit Europa gemeint war. Man kann sich in Amerika das Ausmass der Angst, die man in Europa hat, nicht ganz vorstellen.


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