Ein begrenzter Atomkrieg
In letzter Zeit sind vielfach Äusserungen gefallen, dass ein begrenzter Atomkrieg geführt werden kann. Auf die Frage, was er von diesen Äusserungen halte, antwortete Präsident Reagan in seiner heutigen Pressekonferenz, dass er sich die begrenzte Anwendung von Atomwaffen in Europa vorstellen könne, ohne dadurch den Apparat der Interkontinentalraketen zwischen den USA und der Sowjetunion auszulösen. Das Risiko eines totalen Atomkrieges sei dabei allerdings sehr gross.
Wem würde bei diesem Gedanken nicht der kalte Schauer über den Rücken laufen? Durch diese, und ähnliche Äusserungen ist das Gespenst eines Atomkrieges in der Öffentlichkeit auf beiden Seiten des Atlantiks wieder wachgerufen worden.
21./22. November 1981
Das Ringen um Europa
Während in Amsterdam an diesem Wochenende rund 300.000 Menschen zu einer antinuklearen Friedenskundgebung zusammenströmten, traf Leonid Breschnew in Bonn zu einem Staatsbesuch ein. Kurz davor hatte Präsident Reagan, beunruhigt durch die Friedensbewegung in Europa und die zunehmende Neigung zur Neutralisierung, bekanntgegeben, dass die USA die Pershing II-Raketen nicht aufstellen würden, wenn die Sowjetunion ihrerseits die bereits installierten SS-20 Mittelstreckenraketen abbaut. Breschnews Antwort darauf war ein glattes njet. Breschnew ist offensichtlich davon übenzeugt, dass die immer weiter um sich greifende Friedensbewegung in Westeuropa die Aufstellung der Pershings ohnedies verhindern werde. Es ist ein gigantisches Ringen um die Seele von Europa entbrannt. Wird Europa dem atlantischen Verteidigungsbündnis treu bleiben oder der östlichen Propaganda unterliegen und sich mehr Moskau zuwenden?
29. November 1981
Zero option
Im selben Augenblick, als die Delegationen zu Abrüstungsgesprächen in Genf eintrafen, demonstrierten heute an die 200.000 Menschen in Florenz gegen die atomare Aufrüstung in Europa. Man ist in Amerika über das Ausmass dieser Demonstrationen besorgt. Präsident Reagan hatte zum erstenmal die zero option (Null-Wahl) vorgeschlagen, wonach alle Mittelstreckenraketen in West- und Osteuropa ausgeschaltet werden sollten. Wenn es auch unwahrscheinlich bleibt, dass dieser Vorschlag verwirklicht wird, so hat er doch für die Genfer Abrüstungsverhandlungen einen neuen Akzent gesetzt.
Anmerkung
[Präsident Reagan hatte am 18. November 1981 in einer Rede vor dem Presseklub in Washington den Vorschlag zur zero option, zur Eliminierung aller INF (Intermediate-range Nuclear Forces) in West- und Osteuropa unterbreitet. Zero option blieb auf Jahre hinaus ein heftig diskutiertes Konzept bei den Abrüstungsverhandlungen in Genf. Der historische INF-Vertrag wurde schliesslich von Reagan und Gorbatschow im Dezember 1988 in Washington unterzeichnet. (Vgl. Morris, Dutch: A Memoir of Ronald Reagan, pp. 454, 630.)]