University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


South Bend, 1. Mai 1986

Die Geheimnistuerei

Mit Befremden und Empörung wird in den westlichen Ländern die Geheimnistuerei aufgenommen, mit der die Sowjetunion den Atomunfall in Tschernobyl umgibt. Es sind keine genauen Messungen, bzw. Angaben über den gegenwärtigen Stand des Feuers zu erfahren, ob der Brand eingedämmt werden konnte, oder ob weiterhin radioaktive Straheln in die Atmosphäre eindringen. Der Westen bleibt darauf angewiesen, von den Messungen in Schweden, wo eine zehnfache Steigerung der Radioaktivität festgestellt wurde, Rückschlüsse auf die Intensität der Strahlung in Tschernobyl zu ziehen. Die Strahlenwolke hat sich nun auch über Polen und Russland nach Sibirien ausgedehnt. Hier in den Vereinigten Staaten wird befürchtet, dass die radioaktiven Strahlen in abgeschwächter Form über Alaska bis nach Washington State und Nevada vordringen könnten.

24. Mai 1986

Die Auswirkungen

Erst aus den Briefen von Verwandten und Bekannten sowie aus Zeitungsausschnitten war zu entnehmen, wie sehr die Auswirkungen von Tschernobyl in den Alltag der Menschen in Österreich und der Bundesrepublik eingegriffen haben. Es war vor allem die Strahlenverseuchung des Bodens, welche zu den verschiedensten Schutzmassnahmen Anlass gab. Es wurde vom Genuss von Molkereiprodukten aller Art abgeraten. Besonders betroffen sind die hochalpinen Gebiete und Gletscherregionen in den Ostalpen, die sonst als bevorzugte Erholungsgebiete dienen. Der Genuss von frischgesammelten Pilzen steht ausser Frage, auch das Wildgehege gilt als angegriffen. Was soll die Landwirtschaft tun, die unter den Auswirkungen am meisten leidet. Es ist zu Verhaltensweisen gekommen, an die bisher niemand gedacht hatte. Soll man den Rasen mähen? - oder das Schwimmbecken mit Wasser füllen? Es wurde jedenfalls davor gewarnt, Kinder im Freien im Sand spielen zu lassen.

Nachtrag

[Die Auswirkungen des Reaktorunfalls im Atomkraftwerk Tschernobyl vom April 1986 wurden in den folgenden Jahren gründlich untersucht. Die International Atomic Energy Agency (IAEA) in Wien legte dazu 1991 einen 4-teiligen Bericht vor. Wie später eruiert werden konnte, wurden bei der Explosion des Reaktors unmittelbar 31 Personen getötet. Etwa 600.000 Soldaten, die bei den Aufräumungsarbeiten im Einsatz waren, blieben einer erhöhten Strahlenbelastung ausgesetzt. 1990 lebte noch eine Million Menschen in einer kontaminierten Umgebung, was langfristig krebsartige Erkrankungen auslösen kann. Nach Schätzungen der ukrainischen Regierung sind an die 8.000 Todesopfer der Katastrophe von Tschernobyl zuzuschreiben. Der zerstörte Reaktor wurde zunächst mit einem Betonmantel abgedeckt. Da aber die Energieversorgung der Ukraine von Tschernobyl abhängig war, blieben die zwei noch intakten Reaktoren weiterhin in Betrieb. Auf internationales Drängen, besonders durch die Vereinigten Staaten, hat die Regierung der Ukraine 1994 zugestimmt, das Werk zu schliessen. Das Atomkraftwerk Tschernobyl wurde am 15. Dezember 2000 endgültig geschlossen.]


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