Die doppelte Geburtstagsfeier
Zur 750-Jahr-Feier von Berlin haben sich in der geteilten Stadt die Gratulanten sowohl in West- wie in Ost-Berlin eingefunden, um jeder auf seine Weise die Glückwünsche zur Geburtstagsfeier zu überbringen. In West-Berlin eröffnete Königin Elisabeth II. den Reigen hoher Staatsbesuche, wobei sie die Bereitschaft Grossbritanniens bekundete, die Freiheit von West-Berlin zu garantieren. Die Chefs der Warschauer-Pakt-Staaten trafen sich mit Gorbatschow an der Spitze in Ost-Berlin. Von den Warschauer-Pakt-Staaten wurden gestern an die NATO weitere Verhandlungen zur Abrüstung in Mitteleuropa angeboten. Präsident Reagan hat seinen Besuch in West-Berlin bereits für Anfang Juni zugesagt. Dabei soll auf die Frage der Wiedervereinigung Deutschlands eingegangen werden. All diese Treuebekundigungen für Berlin können aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass dem eigentlichen Ziel, dem Abbau der Mauer, in keiner Weise nähergekommen wird. Die doppelte Geburtstagsfeier bestätigt die groteske Situation der geteilten Stadt. Es ist leider nicht möglich gewesen, eine gemeinsame 750-Jahr-Feier für Gesamt-Berlin durchzuführen.
Innsbruck, 31. Mai 1987
Henry Kissinger in Aachen
Anlässlich der Verleihung des Karlspreises von der Stadt Aachen hielt Henry Kissinger, übrigens in fliessendem Deutsch, eine bemerkenswerte Rede. Kissinger mahnte die Europäer gerade in der jetzigen Stunde zur Wachsamkeit: Einerseits sollte die günstige Gelegenheit des gegenwärtigen Dialogs mit der Sowjetunion zum Raketenabbau genützt werden, andererseits sollte sich Europa aber auch davor hüten, in einen seichten Neutralismus zu verfallen und das Atlantische Bündnis aufzuweichen. Man möge sich auch vor der Illusion hüten, dass es eine atomfreie Zukunft geben werde. Es könne sich bei den Abrüstungsgesprächen nur um eine vernünftige Reduzierung des nuklearen Waffenarsenals handeln. Amerika sei die Tochter Europas, es gelte das gemeinsame Erbe des Westens, vor allem die Freiheit des Einzelnen zu bewahren. Jedes Friedensprogramm sei letztlich nur zu rechtfertigen, wenn es mit unseren Werten und unserer Sicherheit vereinbar sei.
[Der Karlspreis wird von der Stadt Aachen seit 1950 jedes Jahr für besondere Verdienste um die europäische Einigung verliehen. Vor Henry Kissinger wurden u.a. Jean Monnet (1953), Konrad Adenauer (1954), Winston Churchill (1956), Paul Henri Spaak (1957), Robert Schuman (1958) und George C. Marshall (1959) mit dem Karlspreis ausgezeichnet.]