Das Konzertereignis
Gestern Abend gab Vladimir Horowitz im Grossen Saal des Musikvereins in Wien eine Klavier-Soiree. Werke von Mozart, Schubert, Liszt, Schumann und Chopin standen auf dem Programm. Der bereits zur Legende gewordene 82-jährige Künstler ist nach 50 Jahren zum erstenmal wieder in Wien aufgetreten. Das Konzert war schon seit Wochen ausverkauft. Seit langem nicht mehr hat ein Klavierkonzert ein solches Aufsehen erregt. Die technische Brillianz des Vortrages, das Einfühlungsvermögen mit zurückhaltender Gestik vermittelten einen durchaus vergeistigten, transparenten Vortrag. Ein Kritiker meinte, dass man bei Horowitz den Schöpfungsprozess miterlebe, wenn er Mozart spielt. Woimmer Horowitz auf seiner Europatournee auftrat, war der Jubel ungeteilt.
Innsbruck, 5. Juni 1987
Die historische Rede vor 40 Jahren
Heute vor 40 Jahren am 5. Juni 1947 hielt der damalige US Secretary of State George C. Marshall an der Harvard University die historische Rede, welche den Grundstein für das ERP (European Recovery Program), bzw. den Marshallplan legte. Es war die Commencement Address an die graduierenden Studenten der Harvard in jenem Jahr. Marshall hatte mit grosser Weitsicht erkannt, was notwendig war, um das vom Krieg zerstörte und von der Hungersnot bedrohte Europa zu retten. Keine andere amerikanische Aktion ist in die Herzen der Europäer so eingedrungen wie der Marshallplan. Es wird auch mit grosser Dankbarkeit an diese einmalige Rettungsaktion gedacht. Der Marshallplan hat zu einem Grossteil dazu beigetragen, dass Westeuropa nicht dem Kommunismus in die Hände gefallen ist.
Nachtrag
[Die 50-Jahr-Feier des Marshallplans 1997 wurde auf beiden Seiten des Antlantiks zum Ereignis. Am 29. Mai 1997 trafen sich die Regierungschefs der Länder, welche am Marshallplan teilgenommen hatten, in Rotterdam zu einer Feier. Dazu war auch US-Präsident Bill Clinton nach Rotterdam gekommen. Der Marshallplan wurde allgemein als eines der erfolgreichsten Unternehmen des Wiederaufbaus der neueren Geschichte gepriesen.
Das Archiv der Harvard University hatte 1997 aus Anlass der 50-Jahr-Feier eine Sonderausstellung eröffnet, die aufzeigte, wie es zur Commencement Address vom 5. Juni 1947 gekommen war, und wie der Marshallplan verwirklicht wurde. US Secretary of State George Marshall hatte die Einladung vom Präsidenten der Harvard University James B. Conant, die Commencement Address zu halten, mit der Einschränkung angenommen, dass er keine formelle Rede halten, sondern nur a few remarks, ein paar Bemerkungen machen werde. Die Commencement-Feier vom 5. Juni 1947 fand wie üblich im Harvard Yard im Freien statt. In einer kurzen Ansprache, die knappe 15 Minuten in Anspruch nahm, machte George Marshall zuerst auf die Not in Europa aufmerksam, die ohne Hilfe zur wirtschafltlichen und sozialen Katastrophe führen könnte. Dann entwarf er in kurzen Umrissen sein recovery program, sein Programm zum Wiederaufbau des vom Krieg zerstörten Europa. Am Schluss wies er darauf hin, dass die amerikanische Politik nicht gegen irgendein Land oder irgendeine Ideologie, sondern gegen den Hunger gerichtet sei.
Das ERP (European Recovery Program) stiess zunächst auf Widerstand im Kongress, wurde aber schliesslich angenommen und im April 1948 von Präsident Harry S. Truman unterzeichnet. Truman bestand darauf, dass das Programm nach seinem Urheber Marshall Plan genannt wurde. Am Marshallplan beteiligten sich 16 Länder: Belgien, BRD, Dänemark, Frankreich, GB, Griechenland, Island, Italien, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, die Schweiz, die Türkei und die USA. Im Verlaufe des Bestehens des Marshallplans von 1948-52 wurden 13 Milliarden Dollar verteilt. Durch den Marshallplan wurde die europäische wirtschaftliche Integration sichtbar beschleunigt.
George C. Marshall (1880-1959) war Generalstabschef der US-Streitkräfte während des 2. Weltkrieges. In der Truman Regierung diente er als Secretary of State von 1947-49. Für den Marshall Plan erhielt er 1953 den Friedensnobelpreis.]
Innsbruck, 12. Juni 1987
Vor dem Brandenburger Tor
Mit diesen Worten appellierte heute Nachmittag Präsident Reagan vor dem Brandenburger Tor direkt an Mikhail Gorbatschow, die Berliner Mauer niederzureissen. Der Besuch von Reagan anlässlich der 750-Jahr-Feier in Berlin war von Demonstrationen begleitet, die um den Kurfürstendamm zu regelrechten Strassenschlachten führten. Paradoxerweise kam Reagans Aufruf, die Mauer niederzureissen, den Jugendlichen in Ost-Berlin entgegen, die vor wenigen Tagen das Gleiche gefordert hatten, wobei sie Gorbatschow als Schutzpatron anriefen. Die Ost-West-Politik ist in diesen Tagen sehr in Bewegung geraten. Sollte die Berlinfrage doch noch gelöst werden?
[Aufzeichnung nach Reisen durch die Bundesrepublik, Österreich und Italien.]