University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Sunnyvale, 15. August 1988

Kalifornien ist anders

Kalifornien ist anders als das übrige Amerika. Es ist schon einmal vom Klima her begünstigt. Während der Osten von Amerika unter einer brütenden Hitze schmachtet, erfreut man sich hier an der Pazifikküste eines ausgeglichenen Klimas mit 75 Grad F im Schatten bei herrlichen Sommertagen und kühlen Nächten. Kalifornien ist auch extravaganter als das übrige Amerika, die Gegensätze stechen hier mehr ins Auge. Während man auf der einen Seite von einem sehr hohen Lebensstandard umgeben wird, stösst man auf der anderen auf Verwahrlosung und Verkommenheit, worüber sich scheinbar niemand den Kopf zerbricht. So zeigt San Francisco neben der Pracht seiner landschaftlichen Lage und seinen exklusiven Wohngebieten auch abstossende Bilder von Armut und Verkommenheit. Im Park vor dem Rathaus liegen in Lumpen gehüllte Gestalten herum, von denen man nicht sagen kann, ob sie noch leben oder schon tot sind. Das Heer der “homeless” oder Obdachlosen soll auf 6.000 angestiegen sein. Kalifornien hat Exzentriker angezogen und sie selbst hervorgebracht. Neben der High-Tech-Industrie blühen und gedeihen hier Künstlerkolonien jeder Art und Schattierung. Aussergewöhnliche Verrücktheiten werden hier offener zur Schau gestellt, als man sie sonst in Amerika antrifft. Von historischem Interesse und sehenswert sind die spanischen Missionen, die Ende des 18. Jahrhunderts in der Bay Area angelegt wurden. Dazu gehören die Mission Dolores in San Francisco und die Mission San Jose am unteren Ende der Bucht.

Kalifornien hat seinen eigenen Charakter. Es ist ein 900 Meilen langer Küstenstreifen, der auf der einen Seite vom Pazifik und auf der anderen von der Cascade Range und den Gebirgszügen der Sierra Nevada begrenzt wird. Es ist vielschichtig abwechslungsreich und wirkt trotz seiner Schattenseiten immer wieder anziehend, besonders auf die Jugend. Es bietet berufliche Möglichkeiten wie kaum anderswo. Neben seiner hochentwickelten modernen Lebensform findet man noch weite Gebiete unberührter Natur von einzigartiger Schönheit. Kalifornien ist immer eine Reise wert.

17. August 1988

Das Geheimnis gelüftet

George Bush machte dem schon seit Monaten anhaltenden Rätselraten, wer sein Mitkandidat sein wird, ein Ende, indem er gestern bei seiner Ankunft zum Konvent der Republikanischen Partei in New Orleans bekanntgab, dass er Senator Dan Quayle von Indiana als seinen “running mate” ausgewählt hatte. Selbst interne Kreise der Republikaner waren von dieser Wahl überrascht. Senator Quayle ist erst 41 Jahre alt, hat allerdings vor zwei Jahren die Wiederwahl in den Senat gewonnen. Er dürfte vor allem die junge Generation ansprechen. Quayle ist “nationwide” noch unbekannt, er muss sich erst im Wahlkampf durchsetzen.

18. August 1988

Aus dem Schatten von Reagan herausgetreten

Mit seiner “acceptance speech” beim Parteikonvent der Republikaner im Super Dome von Louisiana in New Orleans ist George Bush heute Abend aus dem Schatten von Ronald Reagan, dem er acht Jahre lang als Vizepräsident zur Seite gestanden ist, herausgetreten und hat als Kandidat seine Person in den Mittelpunkt gestellt. Bush hat in seiner Rede klar ausgesprochen, wofür er eintritt: Die Werte des Individuums und der Familie; freie Marktwirtschaft; und ein starkes Amerika nach aussen. Er versprach auch, dass es keine Steuererhöhung geben wird.

[Im Herbst 1988 standen sich im Wahlkampf um die US-Präsidentschaft auf der republikanischen Seite Bush-Quayle und auf der demokratischen Seite Dukakis-Bentsen gegenüber.]

South Bend, 19. August 1988

Die erste Wahlkundgebung

Einfacher und volksnaher hätte der Wahlkampf der Republikaner nicht beginnen können, als mit der ersten “rally” oder Kundgebung, die heute in er Heimatstadt von Dan Quayle in Huntington, Indiana, veranstaltet wurde. Da die kleine Bezirkshauptstadt nur 100 Meilen südöstlich von South Bend entfernt liegt, war es einfach, von hier aus mit dem Auto hinzufahren. Die rund 18.000 Einwohner zählende Stadt hat alles aufgeboten, um ihrem berühmten Sohn, der nun ins nationale Rampenlicht gerückt ist, einen begeisterten Empfang zu bereiten. Es strömten an die 20.000 Anhänger und Schaulustige nach Huntington, was ein beachtliches Verkehrsproblem verursachte. Die “rally” wurde vor dem Court House, dem Bezirksgericht abgehalten. Die “high school band” (Musikkapelle der Mittelschule) spielte auf dem Empfangspodium, während ein “cheerleader” die Menge mit Sprechchören wie “Bush-Quayle” - “Bush-Quayle” anfeuerte. Pepsi-Cola und Pizza wurden frei ausgeteilt. Es herrschte Volksfeststimmung. George und Barbara Bush zusammen mit Dan und Marilyn Quayle trafen pünktlich um 12:40 p.m. mit ihrer Wagenkolonne ein. Die Menschenmenge füllte den Platz vor dem Court House über die Bahngleise bis zu dem aufgelassenen Bahnhof und den halbverfallenen Getreidespeichern hin. Einige wagemutige Teenager waren auf die Pfosten der Bahnschranken geklettert, um besser sehen zu können. Nur die Sicherheitsbeamten auf dem Dach des Gerichtsgebäudes beobachteten mit scharfen Augen das bunte Treiben. Das Ganze war wie eine Illustration von Norman Rockwell* - echte “grass-roots politics on the stump,” volksverbundene Politik auf Wahlreisen, wie sie bei der amerikanischen Präsidentenwahl seit eh und je üblich gewesen ist. Bush sprach den Menschen, die sich hier versammelt hatten, von der Seele. Er hob die Bedeutung von Familie, Gemeinschaft und Kirche hervor, versprach neue Arbeitsplätze zu schaffen und keine Steuern zu erhöhen. Dan Quayle erwies sich als wirkungsvoller Wahlredner, hatte aber nichts Wesentliches zu sagen. In Huntington wurde heute deutlich, dass die Bush-Quayle-Kampagne die Wähler der amerikanischen Kleinstadt in den ländlichen Gebieten anspricht. Es wurde ein konservatives, patriotisches Wahlprogramm dargelegt, das mit Begeisterung aufgenommen wurde.

*[Der amerikanische Maler und Illustrator Norman Rockwell (1894-1978) hat mit feinsinnig-pointiertem Humor den amerikanischen Alltag wie kein zweiter dargestellt.]


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