Der Ruf nach mehr Freiheit
Der Ruf nach mehr Freiheit im kommunistischen Herrschaftsbereich will nicht mehr verstummen. Zuerst wurde er in Polen, Litauen, Georgien und bei den jüngsten Wahlen auch in Moskau gehört. Und nun wird er lautstark in der Volksrepublik China vernommen. Seit Wochen ziehen Hunderttausende von Studenten auf die Strasse, es kommt zu Massendemonstrationen und Hungerstreiks in Peking. Die Demonstranten verlangen mehr Freiheit und Mitspracherecht vom kommunistischen Regime, das sich vor ein Dilemma gestellt sieht.
17. Mai 1989
Der Tiananmen Platz
Die Massendemonstration auf dem Tiananmen Platz in Peking ist heute auf eine Million Menschen angeschwollen. Zu den Studenten haben sich Arbeiter, Bauern sowie Menschen aus allen Teilen der Bevölkerung angeschlossen. Das ist bisher die grösste Massendemonstration für die Demokratie, die es je gegeben hat. Ein historisches Phänomen, das nicht mehr zu übersehen ist. Die Demonstranten wollen mehr Grundrechte: Freiheit der Meinungsäusserung, Pressefreiheit, freie Ausübung der Religion, demokratische Wahlen und mehr Mitspracherecht bei den politischen Entscheidungen.
19. Mai 1989
Die Nachrichtensperre
Die schon seit Tagen anhaltenden Massendemonstrationen auf dem Tiananmen Platz haben die Volksrepublik China an den Rand der Anarchie, bzw. einer Konterrevolution gebracht, da sie nun auch auf Schanghai und andere Städte übergegriffen haben. Breite Schichten der Bevölkerung sympathisieren mit den Studenten, Einheiten des Militärs haben sich geweigert, einzugreifen. Die Lage hat sich heute insoferne verschärft, als die Regierung den Notstand ausgerufen, Teile der Hauptstadt unter Kriegsrecht gestellt und gleichzeitig eine Nachrichtensperre für ausländische Korrespondenten verhängt hat. Bis zur letzten Minute, bis die Regierung den Strom abdrehte, hat CNN Bilder aus Peking übertragen, die deutlich eine sich entwickelnde Revolution zeigten.
[Über die weitere Entwicklung dieser Ereignisse siehe unten die Eintragungen vom 4. und 7. Juni 1989.]
South Bend, 29. Mai 1989
40 Jahre NATO
Die NATO begeht dieser Tage ihr 40-jähriges Bestandsjubiläum. Nach 40 Jahren muss man sich fragen: Hat sich das Nordatlantische Verteidigungsbündnis bewährt? Es hat sich über alle Erwartungen ausserordentlich gut bewährt. Das Bündnis hat nicht nur standgehalten, sondern sich nach innen konsolidiert und nach aussen hin erweitert. Es hat mögliche militärische Übergriffe vom Osten gegen den Westen verhindert und den Frieden in Europa gesichert. Nun ist aber der Zeitpunkt gekommen, das Verhältnis des Bündnisses gegenüber den Osten zu überdenken und eine flexiblere Haltung gegenüber den Ländern des Warschauer Paktes einzunehmen.
Präsident George Bush ist auf seiner ersten offiziellen Europareise nach Brüssel gekommen, um an dem 40-jährigen Jubiläum der NATO teilzunehmen. Er überraschte heute die versammelten Vertreter des Bündnisses in Brüssel mit der Erklärung, dass die USA beabsichtigen, 20% ihrer Truppen aus Europa abzuziehen. Das würde bei einer Stärke von 320.000 amerikanischen Truppen, die derzeit in Europa stationiert sind, eine Reduzierung von 64.000 Mann bedeuten. Daran knüpft sich die Aufforderung an die Sowjetunion, die konventionelle Truppenstärke auf beiden Seiten des Einsernen Vorhanges auf 270.000 Mann zu reduzieren. Damit wäre die Voraussetzung für eine Entschärfung der Lage in Mitteleuropa gegeben.
Nachtrag
[Die North Atlantic Treaty Organization (NATO) wurde am 4. April 1949 in Washington gegründet. Zu den ursprünglichen 12 Signatarländern gehörten: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA. Die NATO ist ein kollektives Verteidigungsabkommen. Artikef 5 des Vertrages legt fest: The Parties agree that an armed attack against one or more of them in Europe or North America shall be considered an attack against them all. (Die Vertragsparteien stimmen überein, dass ein bewaffneter Angriff gegen eine oder mehrere von ihnen in Europa oder Nordamerika als Angriff gegen alle betrachtet wird.) Das Bündnis wurde fallweise erweitert: 1952 wurden Griechenland und die Türkei; 1955 die BRD und Spanien; und im März 1999 Polen, die Tschechische Republik und Ungarn in die NATO aufgenommen. Zum 50-jährigen Bestehen der NATO trafen sich vom 23.-25. April 1999 die Vertreter der 19 Mitgliedstaaten sowie weiterer Anwärter auf Aufnahme in Washington. Das Bündnis hat sich als die verlässlichste Garantie für die Sicherheit des euro-atlantischen Raumes erwiesen.]