Die Mauer fällt
Wie ein Lauffeuer verbreitete sich hier heute Nachmittag die Nachricht, die ostdeutsche Regierung habe bekanntgegeben, dass ab sofort unbeschränkte Ein- und Ausreise zwischen der DDR und der BRD bestehe. Das bedeutet praktisch das Ende der Berliner Mauer. Zunächst unfassbar vor dem Ereignis stehend, dann ergriffen von seiner historischen Tragweite, und schliesslich in Jubel ausbrechend, hat die Nachricht beide Teile Deutschlands und die Welt erfasst.
10. November 1989
Wer hätte je gedacht, dass der Kalte Krieg mit einem Tanz auf der Berliner Mauer enden würde. Kurz vor Mitternacht brach der Jubel los und hat bis zur Stunde noch nicht aufgehört. Tausende kletterten auf die Mauer, liessen wie bei einer grossen Neujahrsfeier die Korken der Sektflaschen in die Luft schiessen. Plötzlich war der Damm gebrochen, ein unentwegter Menschenstrom hatte sich von Ost-Berlin nach West-Berlin in Bewegung gesetzt. Der Strom ergoss sich auf den Kurfürstendamm. Mit staunenden Augen wurde der Westteil der Stadt betrachtet, von dem diese Menschen 28 Jahre lang ausgesperrt geblieben waren. Man schaute einfach, oft mit Tränen in den Augen, traf Verwandte, West- und Ostberliner fielen sich in die Arme. Sie kehrten in den Ostteil der Stadt mit dem Gefühl zurück, dass die Teilung endgültig vorbei ist.
Mit Hammer, Meissel, Pickel oder selbst mit den blossen Händen wurde versucht, die Mauer niederzureissen oder ein Erinnerungsstück von seiner dunklen Vergangenheit mitzunehmen. Pausenlos übertragen alle Fernsehstationen in Amerika Berichte von den Vorgängen in Berlin. Eine Welle der Sympathie für die deutsche Bevölkerung hat Amerika ergriffen. Man hofft auf eine rasche Demokratisierung Ostdeutschlands und nimmt die darauffolgende Wiedervereinigung für gegeben an.
12. November 1989
An diesem historischen Wochenende haben an die 3 Millionen Menschen die Grenze von Ost nach West überquert. Erschütternde Szenen der Wiederbegnung haben sich abgespielt, Familien, die sich fast 30 Jahre lang nicht mehr sehen konnten, kamen zusammen. Die Zusammengehörigkeit dieser Menschen von Ost und West hätte nicht besser demonstriert werden können. Am erstaunlichsten aber ist, dass anscheinend eine kommunistische Propaganda, die 40 Jahre lang auf die Menschen in der DDR ununterbrochen eingehämmert hat, sich plötzlich wie eine geplatzte Seifenblase in Nichts auflöste.
South Bend, 16. November 1989
Lech Walesa vor dem US-Kongress
Mit tosendem Applaus wurde Lech Walesa vom amerikanischen Kongress begrüsst. Walesa hat durch sein mutiges Vorgehen als Führer der unabhängigen Gewerkschaft Solidarnosc den Kommunismus in Polen überwunden. Er wird als Held der Freiheitsbewegung in Osteuropa gefeiert. Das ist seit 165 Jahren erst zum zweitenmal, dass eine Privatperson vor einer joint session of Congress, einer Plenarsitzung des US-Kongresses zu sprechen, eingeladen wurde. Vor Walesa war diese Auszeichnung nur Marquis de Lafayette, dem französischen Helden im amerikanischen Unabhängigkeitskrieg, 1824 zuteil geworden.
27. November 1989
Prag 1989
Wie tiefgreifend das Bedürfnis nach Freiheit und Demokratie in der tschechoslowakischen Bevölkerung vorhanden ist, wird in diesen Tagen wieder offenbar. Hunderttausende ziehen immer wieder auf den Wenzeslaus-Platz in Prag und sind nicht eher zu befriedigen, bis das jetzige kommunistische Regime abtritt und freie Wahlen zugesichert werden. Der Ruf nach Alexander Dubcek wird immer lauter, als gelte es, nun nachzuholen, was 1968 mit brutaler Gewalt niedergeschlagen wurde.
28. November 1989
10-Punkte-Programm für die deutsche Einheit
Heute legte Bundeskanzler Helmut Kohl dem Bundestag in Bonn ein 10-Punkte-Programm zur deutschen Einheit vor. Danach sollen in der DDR freie demokratische Wahlen durchgeführt, Wirtschaftsreformen in Angriff genommen und schliesslich der Weg zur Wiedervereinigung geebnet werden.