Das Feld lichtet sich
Nachdem knapp an die Hälfte der Vorwahlen durchgeführt worden sind, hat sich das Feld bei den Demokraten gelichtet. Edmund Muskie ist nach den primaries von Pennsylvanien und Ohio ausgestiegen. Hubert Humphrey bleibt dagegen immer noch ein zugkräftiger Kandidat. Nach der primary von Florida steht George Wallace im Vorfeld. Doch als Spitzenreiter der Demokraten hat sich George McGovern entwickelt. Er prägt als Populist den neuen Stil der Demokratischen Partei. McGovern hat grosse Anziehungskraft. Er muss für die Nominierung ernstlich in Erwägung gezogen werden, doch bleibt bis zum Parteikongress in Miami noch alles offen.
South Bend, 8. Mai 1972
Die Blockade von Haiphong
Als Massnahme gegen die jüngste nordvietnamesische Offensive kündigte Präsident Nixon die Blockade des Hafens von Haiphong an. Wiederum wartet die Welt mit Furcht darauf, ob Russland auf das amerikanische Vorgehen reagieren wird. Sollte sich der Krieg in Vietnam doch noch zu einem weltweiten Konflikt ausweiten?
Nachtrag
Schon nach einigen Tagen stellte sich heraus, dass die Sowjetunion nicht eingreifen wird. Vietnam bleibt ein lokaler Konflikt, der nicht zu einer direkten Konfrontation der beiden Grossmächte führt. Auch die geplante Reise von Präsident Nixon nach Moskau wird dadurch nicht beeinträchtigt.
South Bend, Montag, 15. Mai 1972
Das Attentat auf George Wallace
Bei einer Wahlkundgebung für die morgige primary von Maryland wurde heute Nachmittag am Shopping Center von Laurel, einem Vorort von Washington, auf Governor George Wallace ein Attentat verübt. Wallace wurde aus nächster Nähe angeschossen. Er wurde schwer, aber glücklicherweise nicht tödlich verletzt. Es war wiederum die Tat eines psychopathischen Einzelgängers, der sich unter die Menge gemischt hatte.
[George C. Wallace, geb. 1919, war in der Zeit von 1963-87 viermal Governor von Alabama. Er wurde durch das Attentat gelähmt und blieb zeitlebens an den Rollstuhl gebunden. Wallace starb im September 1998.]
South Bend, 19./20. Mai 1972
Die Ostverträge
Die Annahme der Ostvertäge durch den Bundestag in Bonn wurde in den USA wohl registriert, aber keineswegs ihrer Wichtigkeit entsprechend kommentiert. Der Grossteil der amerikanischen Bevölkerung wird daher in Unkenntnis darüber bleiben, was die Moskauer und Warschauer Verträge für Europa bedeuten. Dieser Umstand beleuchtet wiederum, dass die Amerikaner über Fragen wie die Ostverträge oder die EWG nicht hinreichend informiert sind und daher auch wenig Interesse für die politischen Probleme in Europa zeigen.
South Bend, 21. Mai 1972
Die Salzburger Zwischenlandung
Die von Präsident Nixon auf dem Flug nach Moskau gewählte Zwischenlandung in Salzburg hat Österreich in das Rampenlicht der Weltpresse gerückt. Präsident und Mrs. Nixon wurden auf Schloss Klesheim, dem Gästehaus der österreichischen Regierung ausserhalb von Salzburg, gastfreundlich aufgenommen. Allerdings sind die Schlagzeilen und Bilder, die durch die Medien verbreitet werden, nicht das, was sich die Festpielstadt erwartet oder verdient hat. Während Bundeskanzler Bruno Kreisky als Gastgeber der österreichischen Regierung die amerikanischen Gäste in Klesheim bewirtet, sieht man Bilder von Salzburg, wie Ordnungshüter und Demonstranten einander regelrechte Strassenschlachten liefern. Ist es nur die österreichische oder allgemein die internationale Linke, die sich hier zum Protest gegen den amerikanischen Präsidenten versammelt hat?
[Henry Kissinger hebt in White House Years (p. 1204) besonders die internationale Erfahrung sowie das diplomatische Geschick von Bruno Kreisky hervor, wovon auch Nixon beeindruckt war. Auf die Demonstrationen geht Kissinger nicht ein.]
South Bend, 26. Mai 1972
Das Moskauer Gipfeltreffen
Wie pragmatisch die Weltpolitik geworden ist, hat in der vergangenen Woche das Gipfeltreffen in Moskau bewiesen. Weder die Minensperre von Haiphong, noch die amerikanische Annäherung an Peking oder die Differenzen im Mittleren Osten haben die freundliche Atmosphäre des Staatsbesuches von Präsident Nixon in Moskau stören können. Es hat sich wiederum gezeigt, dass die beiden Grossmächte sich nicht durch lokale Konflikte davon ablenken lassen, über die dringenden Probleme zu verhandeln, die ihre eigenen Interessen und im weiteren Sinne die Sicherheit der Welt betreffen. Heute wurde im Kreml der Vertrag über die Begrenzung der strategischen Waffen (SALT) unterzeichnet, über den in den letzten zweieinhalb Jahren in Helsinki und Wien verhandelt worden ist. Das betrifft sowohl das Raketenabwehr-system wie auch die Anzahl und Grösse der atomaren Sprengköpfe. Damit wurde ein entscheidender Schritt zur Entspannung des Ost-Westkonfliktes getan.
[Henry Kissinger gibt in dem Kapitel The SALT Negotiations Conclude (White House Years, pp. 1229-46) einen Überblick über die schwierigen Verhandlungen, die zum Abschluss von SALT I führten. Wie Kissinger darstellt, waren die Vereinigten Staaten bei ABM (Anti-Ballistic Missile), dem Rakentenabwehrsystem im Vorteil, während die Sowjetunion bei ICBM (Inter-Continental Ballistic Missile), den offensiven Interkontinentalraketen einen Vorsprung hatte. Es galt das Gleichgewicht zwischen diesen beiden Systemen zu finden.]
Nachtrag
Die weiteren Übereinkommen vom Moskauer Gipfel betreffen die amerikanisch-russische Zusammenarbeit im Weltraum sowie bei der Bekämpfung der Umweltverschmutzung. Gleichzeitig wurde auch die Verstärkung des kulturellen und wissenschaftlichen Austausches in Aussicht gestellt. Das Mokauer Gipfeltreffen hat ohne Zweifel eine neue Ära der Détente zwischen den Vereinigten Staaten und der Sowjetunion eingeleitet.
South Bend, 27. Mai 1972
Der Drang nach Wirtschaftsexpansion
[Als ein hiesiger Konzern für Kältetechnik und Klimaanlagen einen kleineren Familienbetrieb aus München übernahm, wurde ich gebeten, zur besseren sprachlichen Verständigung zwischen den beiden Partnern auszuhelfen. Auf diese Weise gewann ich aus erster Hand Einblick, wie eine solche Transaktion vor sich geht.]
Amerikanische Firmen drängen nach Expansion. Sie erweitern sich meistens gleichzeitig auf dem amerikanischen Binnenmarkt, in Europa und in Südostasien. Was geschieht eigentlich, wenn eine amerikanische Firma einen deutschen Betrieb übernimmt? Vielfach werden Betriebe aufgekauft, die entweder insolvent geworden sind oder dem wachsenden Wettbewerbsdruck nicht mehr standhalten können. Die amerikanische Firma hat die finanziellen Mittel und die betriebswirtschaftliche Erfahrung, um den erworbenen Betrieb zu modernisieren. So stehen dem amerikanischen Mutterbetrieb Maschinen zur Verfügung, die es in Europa noch gar nicht gibt. Der deutsche Besitzer erzielt durch den Verkauf einen kurzfristigen Gewinn, gibt aber jede weitere Einflussnahme auf die Betriebsführung auf. Der amerikanische Konzern geht von verschiedenen Überlegungen aus. Mit dem deutschen Firmennamen, der meistens beibehalten wird, lassen sich neue Märkte im EWG-Raum, in Nordafrika und im Mittleren Osten ersch-liessen. Es wird auch mit einem niedrigeren Lohnniveau gerechnet, was allerdings nich mehr ganz zutrifft. Wenn unterschiedliche Auffassungen in der Betriebsführung aufeinanderstossen, wird versucht, diese im guten Einvernehmen zu lösen. Der amerikanische Arbeiter findet sich mit Arbeitsbedingungen ab, die der europäische Arbeiter nicht hinnehmen würde. Hier stehen oft noch Frauen an der Drehbank und bei Schweissarbeiten im Einsatz, was in Europa kaum mehr vorkommt.
[Der starke Trend zu transatlantischen Fusionen und Firmenübernahmen setzte zu Beginn der 90er-Jahre ein. Da waren es vor allem deutsche Konzerne, die mit amerikanischen Firmen fusionierten oder schwächere amerikanische Firmen übernahmen. Das war ein wesentlicher Faktor für die globale Entwicklung der Weltwirtschaft.]