University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Innsbruck, 1. August 1974

Watergate

Mit der Empfehlung des Rechtsausschusses des Repräsentantenhauses, die Amtsenthebung von Präsident Nixon durchzuführen, hat Watergate auch auf dieser Seite des Atlantiks so an Interesse gewonnen, dass die weitere Entwicklung ebenso stündlich mitverfolgt wird. Die Spekulationen um den Rücktritt Nixons haben neuen Auftrieb bekommen. Nixon hat seine engsten Berater zu sich berufen. Wird er seinen Rücktritt bekanntgeben, ehe über das “impeachment” im Repräsentantenhaus abgestimmt wird?

6. August 1974

Das Schuldbekenntnis

Präsident Nixon hat nun öffentlich zugegegben, dass er in der Watergate Affäre bisher nicht die volle Wahrheit gesagt hat. Er habe vom Einbruch in das Hauptquartier der Demokratischen Partei, gleich nachdem er geschehen war, gewusst und versucht, ihn geheimzuhalten. Selten ist der amerikanischen Öffentlichkeit gegenüber ein solcher Vertrauensbruch begangen worden wie durch die Haltung Nixons in der Watergate Affäre. Nixon war mehrmals vor die Fernsehkamera getreten und hatte beteuert, dass er nichts gewusst habe.

8. August [17 Uhr MEZ], 1974

Die Amtsniederlegung von Präsident Nixon wird nun stündlich erwartet. Die Ära Nixon scheint einem jähen Ende zuzueilen.

Der Rücktritt

Um 9 p.m. Washington Ortszeit, was durch Satellitenübertragung ab 3 Uhr früh in Mitteleuropa zu sehen war, gab Präsident Nixon mit den Worten, “therefore I shall resign the office of the presidency,” seinen Rücktritt bekannt. Das war das erstemal in der amerikanischen Geschichte, dass ein Präsident sein Amt niederlegte.

Die zweite Amtsperiode von Richard Nixon stand unter einem unglücklichen Stern. Von dem Augenblick an, da Bundesrichter John Sirica die Hintergründe zur Watergate Affäre aufzudecken begann, nahmen die Dinge ihren unbeirrbaren Lauf. Von vornherein stand die Frage im Mittelpunkt, wie sie Senator Howard Baker in der Ervin Untersuchungskommission gestellt hatte: “How much did he know, and when did he know it?” (Wieviel hatte er gewusst, und wann hat er es gewusst?) Wie sich herausstellte, hatte Präsident Nixon zu viel zu früh gewusst und darüberhinaus mitgeholfen, die wahren Verhältnisse zu vertuschen.

Es wird wohl immer ein Rätsel bleiben, wie Richard Nixon, der als Staatsmann das Gesicht der Weltpolitik neu geprägt hat, innerpolitisch einer so banalen Dummheit wie Watergate aufsitzen konnte. Nixon wurde zur tragischen Figur, deren Ausmass sich kaum ausschöpfen lässt.

[Präsident Nixon trat offiziell am 9. August 1974 zurück. Der Rechtsausschuss des Repräsentan-tenhauses hatte “three articles of impeachment” (drei Anklagepunkte zur Amtsenthebung) gegen den Präsidenten vorgebracht. Am schwerwiegendsten waren die Anklagepunkte “obstruction of justice” (Behinderung der Rechtsausübung und “abuse of power” (Amtsmissbrauch). Aufgrund der vorliegenden Tatbestände wurde ihm selbst innerhalb der eigenen Partei empfohlen, zurückzutreten. Nixon trat zurück, bevor das Repräsentantenhaus über sein “impeachment” abstimmte.]

Innsbruck, [Mitte August] 1974

Weltflucht

Die vielen Schlösser und Paläste in und um Salzburg sind dazu angetan, sich in Illusionen der Vergangenheit zu verlieren. Da leben Menschen in verfallenen Ansitzen, von Jagdtrophäen umgeben, und hängen einem aristokratischen Lebensstil nach, ohne sich der schäbigen Armut, die sie umgibt, bewusst zu sein. Es ist der Inbegriff der Weltflucht und Weltfremdheit. Dazu gesellen sich amerikanische “expatriates,” ständig im Ausland lebende US-Bürger, die der Schloss Manie verfallen sind. Es ist eine völlig irreale Scheinwelt, die sich mit vergangenem Glanz umgibt und die eigentlichen Probleme der Zeit erst gar nicht zur Kenntnis nimmt. Doch was für Salzburg so typisch ist, erweist sich als ein allgemeiner europäischer Charakterzug, dem man, verschieden ausgeprägt, wohl überall begegnet.


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