University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


5. Dezember 1979

Der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen nahm einstimmig die Resolution an, dass der Iran die Geiseln sofort freilassen muss.

27. Dezember 1979

Aus Anlass des Weihnachtsfestes wurde drei amerikanischen Geistlichen gestattet, die Geiseln in der amerikanischen Botschaft in Teheran zu besuchen und mit ihnen Gottesdienste zu feiern. Aber zur Zeit bleibt die Frage über das weitere Schicksal der Geiseln noch völlig offen.

South Bend, 28. Dezember 1979

Atomare Aufrüstung in Westeuropa

Auf seiner diesjährigen Dezembertagung in Brüssel beschloss der Ministerrat der NATO, das amerikanische Angebot zur atomaren Aufrüstung anzunehmen. Bis 1983 sollen insgesamt 572 neue Pershing II-Raketen mit einer Reichweite von ca. 1.000 Meilen in Westeuropa installiert werden – zunächst in der Bundesrepublik, Grossbritannien und Italien, später auch in Holland und Belgien. Diese Entscheidung war angesichts des konventionellen Übergewichts der Warschauer-Pakt-Staaten dringend geboten. Im Wesentlichen ging es aber darum, ein Gegengewicht gegen die auf Westeuropa gerichteten russischen Mittelstreckenraketen zu errichten. Mit diesem entscheidenden wie schwerwiegenden Schritt wird die Verteidigung Westeuropas noch enger mit derjenigen der USA verflochten.

[Die mobilen, bodenstationierten Pershing I/II-Mittelstreckenraketen mit einem atomaren Sprengkopf wurden nach General John J. Pershing (1860-1948) benannt. Pershing war im Ersten Weltkrieg 1917-18 Oberkommandierender der amerikanischen Expeditionsstreitkräfte in Europa.]

Nachtrag

[Margaret Thatcher erläutert ausführlich, wie es zu dem Entschluss des NATO-Ministerrates vom 12. Dezember 1979 gekommen war. Im Bereich der “Intermediate-Range Nuclear Forces” (INF) musste eine Entscheidung getroffen werden. Die Westeuropa zur Verfügung stehenden Mittelstreckenraketen waren veraltert und den russischen SS-20 Raketen weit unterlegen. Es bestand die Gefahr, dass Westeuropa Erpressungen durch die Sowjetunion ausgesetzt werden könnte. Der Westen konnte nicht länger, argumentiert Thatcher, nur passiv auf das Vorgehen des Ostens reagieren. Es galt zu handeln. Die Stationierung der modernisierten Pershing II-Raketen sowie der neuen “Cruise missiles” (Marschflugkörper) konnte die nukleare Parität im westeuropäischen Raum mit dem Osten sichern. Die in Westeuropa aufgestellten neuen Raketen blieben in amerikanischer Hand und unter amerikanischer Kontrolle. In der Ansicht Thatchers war dieser NATO-Beschluss der Anfang der historischen Wende, die schliesslich in den 80er-Jahren die Sowjetunion und den Kommunismus in Osteuropa zu Fall brachte. Siehe Margaret Thatcher, The Downing Street Years (New York: HarperCollins, 1993, pp. 239-44.]

[Margaret Thatcher, 1925 in Grantham als Margaret Roberts geboren, studierte am Somerville College und an der Oxford University Naturwissenschaften und Jus; im Beruf als Chemikerin und Rechtsanwältin tätig; 1951 mit Denis Thatcher vermählt, dessen Namen sie seither trägt. Margaret Thatcher trat bald in die Politik ein; sie war 1959-92 Member of Parliament, Abgeordnete der Konservativen im Unterhaus; 1975-79 führte sie die Konservative Partei; nach dem Wahlsieg vom Mai 1979 wurde sie Prime Minister; nach zweimaliger Wiederwahl konnte sie den wichtigen Posten bis 1990 halten. 1992 wurde sie in den Adelsstand erhoben; als Lady Margaret Thatcher gehört sie dem House of Lords an.]

South Bend, 31. Dezember 1979

Die Invasion zum Jahresschluss

Mit Tanks und schätzungsweise 35.000 Mann ist die Sowjetunion in den letzten 36 Stunden massiv in Afghanistan eingerückt, um dort das von ihr eingesetzte linientreue kommunistische Regime gegen die islamischen Aufständischen zu stützen. Man muss sich fragen, was die weitergehende Absicht dieses Eingreifens sein soll. Beabsichtigt die Sowjetunion ihren Satellitengürtel von Osteuropa nach Zentralasien auszudehnen und schliesslich bis an den Persischen Golf vorzustossen?

Anmerkung

[Die sowjetische Invasion von Afghanistan hatte am 27. Dezember 1979 begonnen. Die Hauptstadt Kabul wurde gleich durch Luftlandetruppen eingenommen und der moskauhörige Vasall Babrak Karmal als Staats- und Regierungschef eingesetzt. Karmal setzte mit Gewalt den marxistisch-leninistischen Staat durch. Die Sowjetunion besetzte ganz Afghanistan, wurde aber bald durch den unbeugsamen Widerstand der islamischen Bevölkerung immer mehr in die Defensive gedrängt. Die internationale Entrüstung über das sowjetische Vorgehen in Afghanistan war nicht minder heftig.]


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