University of Notre Dame
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The Story of Notre Dame


Amerika - Europa

Ein transatlantisches Tagebuch 1961 - 1989

Klaus Lanzinger


Teil III 1980 - 1989
Der Durchbruch

Abschnitt 8: 5. Jänner 1980 – 5. August 1982

South Bend, 5. Jänner 1980

Das alte Gespenst ist wieder aufgestanden

Das dreiste Vorgehen der Sowjetunion in Afghanistan - die genau vorgeplante und kaltblütig durchgeführte Invasion mit eingeflogenen Truppen und vorrückenden Panzerverbänden - hat in der Welt Überraschung und Bestürzung ausgelöst. In Europa wurde man an die Vorgänge in der Tschechoslowakei von 1968 erinnert. Das alte Gespenst einer möglichen Invasion vom Osten her ist wieder aufgestanden. Die russische Gefahr wurde wieder einmal als harte Realität demonstriert. Was will die Sowjetunion in Afghanistan, in diesem öden Hochland im Hindukusch? Ohne Zweifel ist ihre strategische Position in Zentralasien verbessert worden. Wird sie auch der Versuchung verfallen, an den Persischen Golf vorzurücken, um dort am Ölhahn den Westen in den Würgegriff zu bekommen?

6. Jänner 1980

SALT II auf Eis gelegt

Als Reaktion auf die russische Invasion in Afghanistan hat Präsident Carter dem Senat empfohlen, die Beratungen über die Ratifizierung der SALT II-Verträge einzustellen. Gleichzeitig hat Carter ein Embargo von Weizenlieferungen an die Sowjetunion verhängt und den Verkauf von Computern und anderen begehrten technologischen Gütern eingestellt. Die Détente, die Ost-West-Entspannungspolitik ist damit, wenn nicht aufgehoben, so doch merklich abgekühlt worden. Wie wird sich der Ost-West-Dialog in den 80er-Jahren entwickeln?

7. Jänner 1980

Um 20 Jahre zurückgeworfen

Der Vertreter Frankreichs bei den Vereinten Nationen, der diesen Monat den Vorsitz im Sicherheitsrat führt, hat vor der heutigen Stimmabgabe zur Resolution über die sowjetische Intervention in Afghanistan die gegenwärtige Lage deutlich charakterisiert: Die Bemühungen um den Entspannungsprozess scheinen um 20 Jahre zurückgeworfen, die Welt sei heute mehr verunsichert denn je, ein neues Wettrüsten der Supermächte stehe vor der Tür, die ungeklärte Situation in Zentralasien berge eine ernste Kriegsgefahr in sich.

Die Resolution des Sicherheitsrates, welche die sowjetische Intervention in Afghanistan verurteilte und den bedingungslosen Rückzug der fremden Truppen forderte, scheiterte natürlich am Veto der Sowjetunion.

South Bend, 20. Jänner 1980

Der Olympische Boykott

Präsident Carter gab heute in der Fernsehsendung “Meet the Press” bekannt, dass er der Sowjetunion einen Monat Zeit gebe, ihre Truppen aus Afghanistan abzuziehen, andernfalls würde er empfehlen, dass die amerikanischen Sportler nicht an den Olympischen Spielen in Moskau teilnehmen. Da die russischen Truppen gewiss nicht so rasch aus Afghanistan abgezogen werden, kommt dies einem Boykott der Olympischen Sommerspiele gleich.

21. Jänner 1980

Die Angst um Jugoslawien

Da Präsident Tito im Alter von 87 Jahren schwer krank und dem Tode nahe daniederliegt, ist die alte Angst wieder aufgeflackert, dass mit seinem Ableben die Einheit Jugoslawiens auseinanderfällt. Dies könnte der Sowjetunion den willkommenen Anlass geben, in Jugoslawien einzumarschieren. Als Vorsichtsmassnahme wurden jugoslawische Truppen zur Verstärkung an die bulgarische und ungarische Grenze geschickt.

[Tito starb am 4. Mai 1980. Über die Folgen seines Ablebens siehe unten die Eintragung vom 7. Mai 1980.]

23. Jänner 1980

Bis hierher und nicht weiter

In seiner heutigen “State of the Union Address” betonte Präsident Carter, dass der Persische Golf wichtige Lebensinteressen der Vereinigten Staaten und des freien Westens berührt. Ein weiteres Vorgehen der Sowjetunion über Afghanistan hinaus, weder nach Pakistan oder Iran, würde auch unter Anwendung von militärischen Mitteln beantwortet werden. Dieser “firm stand” des Präsidenten, die feste Haltung, bis hierher und nicht weiter, wird von beiden Parteien im Kongress und von der Mehrheit der amerikanischen Bevölkerung geteilt.

Die USA und die Sowjetunion stehen wieder auf Kollisionskurs. Man will es nicht wahrhaben, aber die Kriegsgefahr ist gross. So ordnete Carter die Rückkehr zur “draft registration” (Anmeldepflicht zur Einberufung) an, was einer Teilmobilisierung gleichkommt. Die USA hoffen auf die Unterstützung durch die NATO-Länder, die noch mehr als Amerika von der Ölzufuhr aus dem Golf abhängig sind.


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